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CBBL Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., Kanzlei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel
Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M.
Rechtsanwalt und Advocaat
Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel


EU-Binnenmarkt: Handelsbeschränkungen und weitere Probleme

Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt in Brüssel, Herrn Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., vanderhout@cbbl-lawyers.de, Tel. +32 - 2 - 234 11 60, www.kapellmann.de

Ich habe Fragen zu Problemen des Binnenmarktes (Handelsbeschränkungen etc.).

  1. Eine Vorschrift des nationalen Rechts oder eine Entscheidung nationaler Behörden behindert mich im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr innerhalb der EU. Wie kann ich dagegen vorgehen? An welche nationalen oder europäischen Behörden und Gerichte kann ich mich wenden?
  2. Welche Möglichkeiten stehen mir offen, wenn das zuständige Gericht oder die zuständige Behörde die einschlägigen europäischen Normen außer Betracht lässt oder falsch interpretiert?
  3. Ich möchte mit meiner Kapitalgesellschaft dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat tätig werden. Muss ich dazu eine Tochtergesellschaft nach dem Recht des anderen Staates gründen oder kann ich meine nationale Rechtsform beibehalten?
  4. Ich möchte mit meiner Kapitalgesellschaft grenzüberschreitend Dienstleistungen anbieten und erbringen. Was muss ich dabei europarechtlich beachten?

1. Eine Vorschrift des nationalen Rechts oder eine Entscheidung nationaler Behörden behindert mich im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr innerhalb der EU. Wie kann ich dagegen vorgehen? An welche nationalen oder europäischen Behörden und Gerichte kann ich mich wenden?

Nationale Vorschriften, die dem Unionsrecht widersprechen, müssen unionsrechtskonform ausgelegt werden. Ist eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich – etwa weil der Wortlaut der nationalen Vorschrift keinen Auslegungsspielraum gewährt – darf die nationale Vorschrift von den nationalen Behörden und Gerichten im konkreten Fall nicht angewendet werden (vgl. "Ich habe Fragen zum Verhältnis zwischen Unionsrecht und nationalem Recht" (2. Frage)).

Kommt die nationale Norm dennoch zur Anwendung und bleibt somit das vorrangige Unionsrecht unangewendet, kann auf nationaler Ebene behördlicher und gerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen werden. Gegen einen belastenden Verwaltungsakt kann Widerspruch eingelegt werden, der mit einem Verstoß gegen Unionsrecht begründet werden kann.

Hilft die zuständige Behörde dem Widerspruch nicht ab, kann vor der nationalen (Verwaltungs-) Gerichtsbarkeit hiergegen Anfechtungsklage erhoben werden. In bestimmten Konstellationen steht dieser Klageweg auch unmittelbar offen und ein Vorverfahren ist entbehrlich. Außerdem besteht in dringenden Fällen auch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes. Welches nationale Gericht dafür zuständig ist, ergibt sich aus den innerstaatlichen Vorschriften zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der Gerichte. In der Regel ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Falls die Klage keinen Erfolg hat, können Rechtsmittel eingelegt werden. Der Widerspruch sowie die Klagen bzw. Anträge sind jeweils mit dem Verstoß der nationalen Vorschrift bzw. der behördlichen Entscheidung gegen Unionsrecht zu begründen. Behörden und Gerichte haben wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts entgegenstehendes nationales Recht außer Acht zu lassen.

Hegen nationale Gerichte Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit eines unionsrechtlichen Aktes, sind auch unterinstanzliche Gerichte zur Vorlage nach Luxemburg verpflichtet und dürfen die EU-Norm nicht einfach unangewendet lassen.

Dem Einzelnen ist es in solchen Fällen nicht möglich, direkt vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu klagen. Wenn allerdings bei einem innerstaatlichen Gericht im Klageverfahren Zweifel im Hinblick auf die Auslegung des Unionsrechts entstehen, ist dieses berechtigt – und unter bestimmten Umständen sogar verpflichtet – beim EuGH ein sog. Vorabentscheidungsverfahren (gemäß Artikel 267 AEUV) in die Wege zu leiten. Der EuGH ist unter anderem zu-ständig für die Auslegung des Vertrages (Primärrecht) und Fragen zur Gültigkeit und Auslegung von Handlungen der Institutionen und der EZB (Sekundärrecht). Die Prozessparteien können zwar eine Vorlage nicht erzwingen, diese jedoch bei Gericht „anregen“. Sollte die unionsrechtliche Problematik offensichtlich sein, können sich die Gerichte dem in der Praxis kaum entziehen.

Im Vorabentscheidungsverfahren stellt das nationale Gericht dem EuGH Fragen im Hinblick auf die Auslegung oder die Gültigkeit des Unionsrechts. Aus der für das Gericht verbindlichen Antwort kann sich für den Kläger ergeben, dass die nationale Vorschrift oder die behördliche Entscheidung vor dem Hintergrund des Unionsrechts anders ausgelegt oder gar nicht angewendet werden kann. Das Gericht wird dann der Klage regelmäßig stattzugeben haben.

Die Einleitung des Vorabentscheidungsverfahrens kann auch bei einem zur Vorlage verpflichteten „letztinstanzlichen“ Gericht nicht erzwungen werden. Allerdings steht es dem Kläger offen, eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wegen Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 GG) zu erheben, wenn das Gericht die Vorlage verweigert. Dieser Weg ist jedoch meist langwierig.

Auf europäischer Ebene kann eine Beschwerde bei der Kommission wegen des Verhaltens eines Mitgliedstaates erhoben werden. Die Kommission hat als europäische Aufsichtsbehörde die Aufgabe, die Einhaltung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten zu überwachen (sog. Hüterin der Verträge). Dementsprechend geht sie Beschwerden von Bürgern und Unternehmen der EU nach und untersucht, ob der betroffene Mitgliedstaat tatsächlich Unionsrecht verletzt hat. Sollte die Kommission zu dieser Einschätzung gelangen, so wird sie den Mitgliedstaat in einer Stellungnahme zunächst dazu auffordern, das rechtswidrige Verhalten zu beenden. Leistet der Mitgliedstaat dieser Aufforderung keine Folge, kann die Kommission ein sog. Vertragsverletzungsverfahren (Artikel 258 AEUV) einleiten. Auf diese Weise kann die Kommission das Unionsrecht gegenüber den Mitgliedstaaten durchsetzen.

Stellt der EuGH fest, dass der Mitgliedstaat in der Tat gegen Unionsrecht verstößt, so hat der Mitgliedstaat diesen Verstoß zu beseitigen. Kommt der Mitgliedstaat dem nicht nach, kann die Kommission beim EuGH in einem zweiten Vertragsverletzungsverfahren beantragen, dass dem Mitgliedstaat ein Zwangsgeld (Einmalbetrag oder Tagessätze) auferlegt wird (Artikel 260 AEUV).

2. Welche Möglichkeiten stehen mir offen, wenn das zuständige Gericht oder die zuständige Behörde die einschlägigen europäischen Normen außer Betracht lässt oder falsch interpretiert?

Die nationalen Gerichte und Behörden sind aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts dazu verpflichtet, die europäischen Normen anzuwenden und entgegenstehendes innerstaatliches Recht außer Acht zu lassen. Dies beinhaltet auch die Verpflichtung, das Unionsrecht „richtig“, d.h. insbesondere unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), zu interpretieren. Es gibt jedoch kein individuelles, vor dem EuGH einklagbares Recht auf richtige Anwendung des Unionsrechts durch das jeweilige nationale Gericht oder die jeweilige nationale Behörde. Zunächst sollten daher alle vorhandenen Rechtsmittel auf nationaler Ebene (Widerspruch, Klage, Berufung, Revision etc.) ausgeschöpft werden, welche gegen das „falsche“ Urteil oder die „falsche“ behördliche Entscheidung nach nationalem Recht zur Verfügung stehen.

In der Praxis ist es empfehlenswert, sich auf die Existenz und die Anwendbarkeit des Unionsrechts im konkreten Fall zu berufen. Im gerichtlichen Verfahren sollte immer auch die Vorlage gemäß Artikel 267 AEUV an den EuGH angeregt werden, soweit nicht die damit verbundene Verfahrensverzögerung im Einzelfall unerwünscht ist (vgl. hierzu: "Ich habe Fragen zu Problemen des Binnenmarktes" (1. Frage) und zum "EU-Prozessrecht" (3. Frage)).

Daneben kann es empfehlenswert sein, sich mit einer Beschwerde an die Europäische Kommission zu wenden. Diese kann, sofern sie einen Verstoß gegen Unionsrecht ebenfalls bejaht, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den Mitgliedstaat einleiten und diesen dazu auffordern, das unionsrechtswidrige Verhalten abzustellen (vgl. dazu auch unter: "Ich habe Fragen zu Problemen des Binnenmarktes" (1. Frage)).

Zur Frage, wie man sich in der Praxis an die Kommission wendet und den richtigen Ansprechpartner ermittelt, siehe unter: "Ich habe Fragen zum praktischen Vorgehen gegenüber den EU-Organen" (2. Frage).

3. Ich möchte mit meiner Kapitalgesellschaft dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat tätig werden. Muss ich dazu eine Tochtergesellschaft nach dem Recht des anderen Staates gründen oder kann ich meine nationale Rechtsform beibehalten?

Durch das Unionsrecht wird die Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften prinzipiell gewährleistet (vgl. Artikel 49, 54 AEUV). Dies umfasst die Möglichkeit, Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten zu errichten. Lange Zeit war fraglich, ob die Errichtung einer dauerhaften Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat ohne größere Probleme möglich ist, weil der Aufnahmestaat den rechtlichen Status der Muttergesellschaft entsprechend den Regeln des Heimatstaates anzuerkennen hat, oder ob eine „neue“ Tochtergesellschaft nach dem Recht des anderen Staates gegründet werden muss. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob das Recht des Gründungsstaates der Muttergesellschaft maßgeblich ist (gemäß der sog. „Gründungstheorie“) oder ob das Recht des Staates, in dem die Niederlassung stattfinden soll (Sitzstaat), zur Anwendung kommt (gemäß der sog. „Sitztheorie“).

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in mehreren grundlegenden Entscheidungen mit dieser Problematik befasst und dabei mittlerweile der „Gründungstheorie“ den Vorzug gegeben. Dieser Ansatz dient der zunehmenden Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit in der EU, da die Mitgliedstaaten nach diesem Ansatz grundsätzlich verpflichtet sind, die – unter Umständen weniger strengen – Bestimmungen anderer Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gründung von (Kapital-)Gesellschaften anzuerkennen. Dies geschieht insbesondere auch dadurch, dass sie die Eintragung von Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften in ihrem nationalen Handelsregister zulassen müssen, ohne eine Neugründung nach ihrem eigenen Recht fordern zu dürfen. In seiner Centros-Entscheidung hat der EuGH klargestellt, dass ein Mitgliedstaat die Eintragung einer Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft selbst dann nicht verweigern darf, wenn die Gesellschaft im Gründungsstaat keinerlei Geschäftstätigkeit entfaltet und die Gründung nur erfolgte, um die strengeren Anforderungen des die Eintragung verweigernden Mitgliedstaates zu umgehen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Eintragung einer Zweigniederlassung von dem aufnehmenden Mitgliedstaat erst recht nicht verweigert werden darf, wenn die Gesellschaft im Gründungsstaat nach wie vor geschäftlich tätig ist. Die Gründung einer Zweigniederlassung einer Kapitalgesellschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat setzt also nicht voraus, dass die Gesellschaft im anderen Staat neu gegründet werden muss. Es genügt, die Zweigniederlassung in der Rechtsform des Gründungsstaates in das Handelsregister eintragen zu lassen. Es ist daher beispielsweise möglich, in Deutschland als Limited (Ltd.) nach britischem Recht tätig zu werden. Sie darf allerdings nicht ausschließlich als „Euro-GmbH“ bezeichnet werden, sondern muss immer auch einen Hinweis auf die tatsächlich verwandte ausländische Rechtsform verwenden.

Soll die Kapitalgesellschaft allerdings unter vollständiger Verlegung des Sitzes vom Gründungsstaat in einem anderen Mitgliedstaat tätig werden, so kann ein Wechsel des Gesellschaftsstatutes erforderlich werden. Während der EuGH die Eintragung einer Zweigniederlassung nach dem Statut des Gründungsstaates im Rahmen der Niederlassungsfreiheit schützt, hat er in der Rechtssache Cartesio (C-210/06) entschieden, dass der Gründungsstaat befugt ist, den vollständigen Wegzug einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft zu verhindern und beispielsweise eine Eintragung des neuen, ausländischen Sitzes im Register verweigern darf. In diesem Fall wird für die Sitzverlegung die Umwandlung in eine Gesellschaftsform des Zuzugsstaates notwendig, was wiederum in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fällt. Diese Umwandlung bedarf, soweit das Recht des Aufnahmestaates dies vorsieht, keiner Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft, sondern erfolgt unmittelbar.

Da keine einheitliche unionsrechtliche Definition von Gesellschaften besteht, gibt es keine unionsrechtliche Vorgabe für den Anknüpfungspunkt (der satzungsgemäße Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung einer Gesellschaft?), nach dem sich das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt. Also kann der Mitgliedstaat weiterhin sowohl die Anknüpfung bestimmen, welche eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen zu werden, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird.

[Urteile: EuGH, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, 5483; EuGH, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459; EuGH, Rs. C-208/00, Überseering, Slg. 2002, I-9919; EuGH, Rs. C-177/01, Inspire Art, Slg. 2003, I-10155; EuGH, Rs. C-210/06, Cartesio, Slg. 2008, I-09641.]

4. Ich möchte mit meiner Kapitalgesellschaft grenzüberschreitend Dienstleistungen anbieten und erbringen. Was muss ich dabei europarechtlich beachten?

Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind in der Europäischen Union grundsätzlich verboten (Artikel 56 Absatz 1 AEUV). Dienstleistungen können innerhalb der Union also grenzüberschreitend angeboten, erbracht und in Anspruch genommen werden. Darauf können sich auch juristische Personen wie Kapitalgesellschaften berufen (Artikel 62 i.V.m. Artikel 54 AEUV). Adressaten der Dienstleistungsfreiheit sind in erster Linie die Mitgliedstaaten, nach der Rechtsprechung des EuGH aber auch private Verbände, die durch Verbandsvorschriften auf die Betätigung von Dienstleistern einwirken, und damit im Ergebnis vergleichbar einem staatlichen Akteur handeln. Es ist jedoch zu beachten, dass Beschränkungen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sind (vgl. Artikel 62 i.V.m. Artikel 52 AEUV).

Zunächst ist – in Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit (Artikel 49 ff. AEUV) – danach zu unterscheiden, ob eine vorübergehende oder dauernde Tätigkeit angestrebt wird (vgl. Artikel 57 Absatz 3 AEUV). Die Niederlassungsfreiheit ist nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte einschlägig, wenn ein Dienstleistungserbringer seine Tätigkeit von vornherein ausschließlich oder ganz vorwiegend in einem anderen Mitgliedstaat erbringen will, auch wenn er dort keine Zweigniederlassung oder Agentur besitzt. Die Existenz einer bestimmten Infrastruktur, z.B. eines Büros, schließt aber umgekehrt noch nicht die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit aus. Die Abgrenzung erfolgt vielmehr im Einzelfall nach dem „Schwerpunkt“ der Tätigkeit unter Berücksichtigung von Dauer, Häufigkeit, Periodizität und Kontinuität.

In diesem Zusammenhang ist auch das sog. Kumulverbot zu beachten: Wenn ein Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat über eine Zweigniederlassung verfügt, daneben aber auch von seinem Heimatstaat aus Dienstleistungen in demselben anderen Mitgliedstaat erbringt, kann es sich nur auf die Niederlassungsfreiheit, nicht aber (zusätzlich oder alternativ) auf die Dienstleistungsfreiheit stützen, da die Präsenz im anderen Mitgliedstaat die Berufung auf Artikel 56, 57 AEUV ausschließt. Es gilt nur die Niederlassungsfreiheit mit ihrer spezifischen Reichweite und ihren spezifischen Einschränkungen.

Der dem AEUV zugrunde liegende Begriff der Dienstleistung setzt voraus, dass eine selbstständige (vgl. die exemplarische Aufzählung in Artikel 57 Absatz 2 AEUV) sowie entgeltliche Tätigkeit ausgeübt wird. Es wird zwischen der aktiven (positiven) Dienstleistungsfreiheit, bei welcher der Dienstleistungserbringer die Grenze überschreitet, und der passiven (negativen) Dienstleistungsfreiheit unterschieden, bei welcher der Dienstleistungsempfänger in einen anderen Staat reist. Ferner gibt es auch sog. Transferdienstleistungen, bei der nur die Dienstleistung als solche eine Grenze überschreitet (z.B. wird auf Bestellung ein Softwareprogramm von einem ausländischen Programmierer erstellt und dieses dann per E-Mail übermittelt).

Die Dienstleistungsfreiheit verleiht grundsätzlich das Recht, in jedem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen zu den gleichen Konditionen zu erbringen, wie sie der Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt (Artikel 57 Absatz 3 AEUV). Unternehmen, die Dienstleistungen anbieten und erbringen, kommt daher zunächst der Schutz dieses sog. Diskriminierungsverbotes zugute, das sich auch auf versteckte Diskriminierungen, wie z.B. Präsenzpflichten im jeweiligen Staat, erstreckt. Der EuGH hat das Diskriminierungsverbot durch seine Rechtsprechung zum allgemeinen Beschränkungsverbot erweitert. Dies bedeutet, dass der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit bereits dann eröffnet ist, wenn der Mitgliedstaat die Erbringung der Dienstleistung durch bestimmte einschränkende Regelungen weniger attraktiv macht, und zwar unabhängig von jeder diskriminierenden Wirkung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit.

Auch private Verbände sind an die Normen der Dienstleistungsfreiheit gebunden, sofern sie Verbandsvorschriften (z.B. kollektive Regelungen im Arbeits- und Dienstleistungsbereich) erlassen, durch die sie auf die grenzüberschreitende gewerbliche Betätigung Einfluss nehmen. Ein Beispiel hierfür sind kollektiv verbindliche Regelungen von internationalen Sportverbänden.

Die Dienstleistungsfreiheit kann Beschränkungen unterworfen werden (vgl. Artikel 62 i.V.m. Artikel 52 AEUV), die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Problematisch ist insbesondere die Forderung nach einer Residenz- bzw. Präsenzpflicht für dienstleistungserbringende Unternehmen, da inländische Unternehmen diese Anforderung stets automatisch erfüllen. Im Ausnahmefall kann eine solche Pflicht ge-rechtfertigt sein, allerdings hat der EuGH relativ strenge Anforderungen an die Zulässigkeit solcher Pflichten gestellt: Die Präsenzpflicht muss absolut unerlässliche Voraussetzung für die Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks sein, insbesondere weil ansonsten behördliche Überwachungsaufgaben nicht erfüllt werden können.

Im Übrigen sind Beschränkungen in Form besonderer Anforderungen an die berufliche Qualifikation des Dienstleistungserbringers möglich. Dies kann aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein, z.B. zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes. Zu beachten ist auch, dass bestimmte Bereiche staatlichen Dienstleistungsmonopolen vorbehalten werden können (z.B. Anschluss- und Benutzungszwang im kommunalen Bereich).

[Urteile: EuGH, Rs. 36/74, Walrave, Slg. 1974, 1405; EuGH, Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, 1299; EuGH, Rs. 205/84, Kommission/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1986, 3755; EuGH, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165.]

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Stand der Bearbeitung: Januar 2023