Das französische Sachverständigenverfahren

procedure d’expertise

Bestehende Chancen Nutzen: Fakten schaffen durch die aktive Beteiligung an einem französischen Sachverständigenverfahren im Schadensfall.

Eine wesentliche Rolle bei der Behandlung von Schadensfällen im Bereich der Produkthaftung und Bautätigkeit in Frankreich nimmt das französische Sachverständigenverfahren (procédure d’expertise) ein.

Das gerichtliche Sachverständigenverfahren stellt in Frankreich das wesentliche Instrument der Beweissicherung und Festschreibung der Faktenlage dar, welches einen etwaigen nachfolgenden Haftungsprozess ganz erheblich prägt. Dieses Verfahren ist auch für deutsche Unternehmen höchst relevant, da rein statistisch gesehen circa 25 % der in Frankreich in der Industrie durchgeführten gerichtlichen Sachverständigenverfahren unmittelbar deutsche Unternehmen betreffen.

Der gerichtliche Sachverständige beurteilt kraft seines Auftrags in Frankreich nicht nur einen rein technischen Sachverhalt, sondern trifft in der Praxis als verlängerter Arm des Richters auch ganz erhebliche Feststellungen betreffend die einem Streitfall zu Grunde liegende Sachlage. In Sachverhalten, denen Zulieferketten zu Grunde liegen, stellt sich oftmals die Frage danach, ob die Ursache von Mängeln einzelner Bauteile auch auf einen Materialfehler des ursprünglichen Herstellers oder lückenhafte technische Kommunikation von Besonderheiten der Nutzung des Bauteils auf Seiten des Herstellers zurückzuführen sein kann.

Klassischerweise erfolgt daher in derartigen Fällen in Frankreich die Erstreckung eines eingeleiteten gerichtlichen Sachverständigenverfahrens auf alle möglichen Mitverantwortlichen in der Lieferkette im Wege der Interventionsklage (assignation en intervention forcée). Der gerichtliche Sachverständige lädt die am Verfahren beteiligten Parteien zur Teilnahme an verschiedenen Ortsterminen. Aufgrund einer im Wege der Interventionsklage erfolgten Erstreckung eines bestehenden Sachverständigenverfahrens wird im Rahmen des ersten Termins vor Ort zunächst eine Aufarbeitung der bisherigen Feststellungen des Sachverständigen erfolgen. Auf der Grundlage der durch den Sachverständigen hiernach durchgeführten etwaigen weiteren Ortstermine haben die Parteien Gelegenheit, inhaltliche Stellungnahmen zu erstellen und an den Sachverständigen zu übermitteln. Auf der Basis eigener Feststellungen und der Stellungnahmen der Parteien erstellt der Sachverständige zwischenzeitlich oftmals verfahrensbegleitend inhaltliche Einschätzungen der Sachlage (note aux parties) und stellt Fragen an die jeweiligen Beteiligten. 

Hieraus lassen sich bereits richtungsweisend Interpretationen zur Auffassung des Sachverständigen über die technische Verantwortung für etwaige festgestellte Mängel ablesen. Die sachgerechte Erwiderung auf fehlgehende Schlussfolgerungen kann hiernach seitens der Parteien bestimmt werden. Die Verfahrenssprache ist hierbei die französische Sprache, in einer anderen Sprache abgefasste Dokumente und/oder Erklärungen muss der Sachverständige nicht berücksichtigen. Vor der Erstellung des endgültigen Sachverständigenberichts übermittelt der gerichtliche Sachverständige in der Regel einen Vorbericht (pré-rapport d’expertise) an die Parteien nebst Gelegenheit zur Stellungnahme. In der Praxis ist darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige in der Regel von den getroffenen Einschätzungen und Feststellungen des Vorberichts –ungeachtet der etwaigen Stellungnahmen der Parteien – nicht mehr abrückt, sodass der Vorbericht in der Regel dem endgültigen Sachverständigenbericht entspricht. Der Austausch schriftlicher Stellungnahmen erfolgt in der Praxis über die durch die Parteien bestellten Rechtsanwälte. Die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen sind rechtlich bei französischen Schadensfällen von ganz erheblicher Bedeutung. So gelten dessen Feststellungen allen am Verfahren beteiligten Parteien gegenüber rechtsverbindlich. 

Auch die inhaltlichen Feststellungen des Sachverständigen betreffend den Sachverhalt können in einem nachgelagerten Klageverfahren grundsätzlich nur dann noch angegriffen und der richterlichen Überprüfung unterzogen werden, wenn nachgewiesen ist, dass der Sachverständige der betreffenden Partei seine Feststellungen nicht mitgeteilt und dieser auch keine Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben hat. In der französischen Gerichtspraxis ist jedoch die inhaltliche Überprüfung der Feststellungen des Sachverständigen ein nur seltener Ausnahmefall, sodass in der Regel die sachlichen Feststellungen und technischen Ausführungen des Sachverständigen als abschließender Prozessstoff gerichtlich anerkannt werden.

Nimmt eine Partei an dem gerichtlichen Sachverständigenverfahren selbst nicht teil, bzw. wird sie nicht ordnungsgemäß vertreten, gelten die seitens des gerichtlichen Sachverständigen getroffenen sachlichen Feststellungen dennoch auch der abwesenden Partei gegenüber rechtsverbindlich.

Gerichtliche Sachverständige gehen bei komplexeren technischen Sachverhalten nicht selten davon aus, dass dem Hersteller eines Produkts oder, dem Zulieferer von Werkstoffen kraft seines überragenden Wissens eine gesteigerte Prüfungs- und Informationsverpflichtung zukommt, um auftretende Pannen/Mängel in der Verwendung des von ihm gelieferten Materials frühzeitig zu antizipieren und zu vermeiden.

Im Rahmen eines gerichtlichen Sachverständigenverfahrens, insbesondere unter Beteiligung unterschiedlicher Parteien können daher nur dann zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden, wenn es im Wege einer aktiven Teilnahme am Sachverständigenverfahren gelingt, eine konstruktive Kommunikation mit dem Sachverständigen aufzubauen und den Sachverhalt ordnungsgemäß aufzuarbeiten.

Die fehlende Präsenz im Rahmen eines Sachverständigenverfahrens führt in der Regel hingegen nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn aus der technischen Sicht des Herstellers ein gerichtlicher Sachverständiger objektiv nicht zu nachteiligen Feststellungen betreffend bestimmter technischer Sachverhalte und/oder Produkte kommen kann. Daher ist zur Vermeidung von Rechtsnachteilen stets die aktive Teilnahme an gerichtlichen Sachverständigenverfahren zu empfehlen, auch wenn aus rein technischer Sicht kein stichhaltiger Ansatzpunkt erkennbar ist, der eine etwaige Haftung eines betroffenen Unternehmens in Betracht kommen lässt.

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