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Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M.
Rechtsanwalt und Advocaat
Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel

Aktuelles zum Kartellrecht und EU-Recht

EuGH: Die Nichtübernahme von Betriebsmitteln steht einem Betriebsübergang nicht entgegen

26.05.2020

In seinem Urteil C-298/18 vom 27.02.2020 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass der Übergang eines Unternehmen auch ohne die Übernahme von Betriebsmitteln, die für die Ausübung der Tätigkeit notwendig sind, erfolgen kann, wenn die Bewahrung seiner Identität anhand von anderen Tatsachen bewiesen werden kann.

Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt in Brüssel, Herrn Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., vanderhout@cbbl-lawyers.de, Tel. +32 - 2 - 234 11 60, www.kapellmann.de

Dieses Urteil erging in einem Vorabentscheidungsverfahren, welches im Rahmen eines deutschen arbeitsgerichtlichen Verfahrens zwischen einer Verkehrsgesellschaft und zwei Busfahrern angestrengt wurde.

Die Verkehrsgesellschaft SBN betrieb von 2008 bis 2016 den öffentlichen Busnahverkehrsdienst im Auftrag des Landkreises Oberspreewald-Lausitz. Nachdem die SBN aus wirtschaftlichen Gründen beschlossen hatte, am neuen Ausschreibungsverfahren nicht teilzunehmen, stellte sie den Geschäftsbetrieb ein und kündigte ihren Arbeitnehmern. Darüber hinaus schloss sie im Januar 2017 einen Interessenausgleich und Sozialplan mit ihrem Betriebsrat, gemäß dem ihre Arbeitnehmer Abfindungen erhalten, wenn sie nicht von dem neuen Auftragsnehmer übernommen werden oder wenn sie bei Neueinstellung durch diesen finanzielle Verluste erleiden. Im August 2017 wurde der Kraftverkehrsgesellschaft KVG der Zuschlag für den Busverkehrsdienst erteilt. Zur Erbringung dieser Dienste gründete sie die Tochtergesellschaft OSL. Letztere stellte zwar den überwiegenden Teil der Busfahrer und Führungskräfte von SBN ein, aber sie übernahm die Busse und die sonstigen Betriebsmittel der SBN nicht, weil sie nicht den aktuellen umwelttechnischen Normen der Ausschreibung entsprachen.

Die OSL berücksichtigte bei der Einstellung eines Fahrers dessen früheren Beschäftigungszeiten nicht und stufte ihn daher in die Eingangsstufe des Tarifvertrags ein. Dagegen klagte der Arbeitnehmer und machte geltend, OSL hätte bei seiner Einstufung seine früheren Beschäftigungszeiten berücksichtigen müssen. Außerdem berief er sich auf Art. 1 Abs. 1 der RL 2001/23/EG, die die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen regelt, und machte geltend, dass hierbei sein Arbeitsverhältnis auf OSL übergangen sei. Im Rahmen des Übernahmeverfahrens erhob ferner ein zweiter Busfahrer Klage wegen seiner Nichtübernahme durch OSL. Hilfsweise beanspruchte er die aus dem Sozialplan resultierte Abfindung.

SBN erwiderte, sie sei nicht zur Zahlung der Abfindung verpflichtet, denn es liege ein Unternehmensübergang vor und aufgrund dessen seien auch die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer auf OSL übergangen. OSL stützte sich auf frühere Rechtsprechung des EuGH und machte geltend, dass kein Unternehmensübergang vorliege, u.a. weil keine materiellen Betriebsmittel und insbesondere keine Busse übernommen wurden. SBL hingegen argumentierte, dass die Busfahrer aufgrund ihrer Vorerfahrung und ihrer Kenntnisse über die Fahrpläne und der Linienanschlüsse im Gebiet für die Kontinuität des Verkehrsdienstes notwendig waren. Daraus ergebe sich, dass diese die Bewahrung der wirtschaftlichen Einheit der ausgeübten Tätigkeit prägen, so SBL.

Vor diesem Hintergrund setzte das Arbeitsgericht Cottbus das Verfahren aus, um dem EuGH die Frage vorzulegen, ob Art. 1 Abs.1 der RL 2001/23 dahin auszulegen ist, dass bei einer Übernahme einer Tätigkeit durch ein Unternehmen im Rahmen einer Ausschreibung der Umstand, dass dieses Unternehmen die für die Ausübung der Tätigkeit notwendigen Betriebsmittel von dem Unternehmen, die zuvor diese Tätigkeit ausübte, nicht übernimmt, der Qualifizierung dieses Vorgangs als Unternehmensübergang entgegensteht.

Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gilt als Übergang: von einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit. Dem EuGH zufolge sei es für das Vorliegen eines Übergangs entscheidend, dass das Unternehmen seine Identität bewahrt. Nach Auffassung des Gerichtshofs müssen für eine solche Feststellung sämtliche Aspekte berücksichtigt werden. Außer den Betriebsmitteln gehören dazu u.a. die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit. Diesen Aspekten komme dennoch dem EuGH zufolge eine unterschiedliche Gewichtung zu, die von einer Gesamtbewertung jedes einzelnen Falles abhängt.

Ferner spreche die bloße Übernahme der Tätigkeit nicht unbedingt für eine Bewahrung der Identität des Unternehmens. Denn sie ergebe sich aus zusammenhängenden Faktoren, wie seiner Belegschaft, seinen Führungskräften und ggf. den ihm zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. Somit müsse die Qualifizierung eines Übergangs anhand von den vorliegenden tatsächlichen Kriterien und ihrer Gewichtung erfolgen.

Vorliegend stellte der Gerichtshof fest, dass die Nichtübernahme von Betriebsmitteln von OSL nicht entscheidend für das Vorliegen eines Übergangs und der damit einhergehenden Bewahrung der Identität des Unternehmens sei. Hätte OSL die Betriebsmittel übernommen, könnte sie nicht ein Angebot für die Ausschreibung abgeben, denn diese erfüllten nicht die Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers. Hierbei seien dem Gerichtshof zufolge zwei andere Umstände für die Beurteilung des Unternehmensübergangs wesentlich: Zum einen, dass der neue Betreiber die gleichen Busverkehrsdienste erbringe und zum anderen, dass es erfahrene Busfahrer gebe, die über ausreichende Kenntnisse der Linienführung und der Fahrpläne des Gebietes verfügten, um die Qualität des Verkehrsdienstes zu gewährleisten. Somit stelle eine Gesamtheit von Arbeitnehmern ein Unternehmen dar, die übergehen kann.

Der Gerichtshof stellte demnach fest, dass die Nichtübernahme von Betriebsmitteln durch ein Unternehmen nicht entscheidend für das Vorliegen eines Unternehmensübergangs sei, wenn andere tatsächliche Faktoren, wie die Übernahme der Belegschaft, die Feststellung zulassen, dass das Unternehmen seine Identität bewahrt.

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