Aktuelles zum marokkanischen Wirtschaftsrecht
Der Regelungsrahmen für die Schiedsgerichtsbarkeit in Marokko wurde aufpoliert und hat ein neues Zuhause
09.06.2023
Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt in Casablanca, Herrn Rechtsanwalt Dr. Christian Steiner, c.steiner@cbbl-lawyers.de, Tel. +212 - 648 120 763, mideastlaw.de
Welche Neuerungen bringt die Neuregelung von Schiedsgerichtsbarkeit und Mediation in Marokko? Lassen sich internationale Schiedssprüche in Marokko vollstrecken?
Im Juni 2022 ist das mit Spannung erwartete Gesetz Loi n° 95-17 über Schiedsverfahren und konventionelle Mediation in Marokko in Kraft getreten. Was ist der wirtschaftspolitische Hintergrund des Gesetzesvorhabens und welche Neuerungen bringt es?
1. Welche Vorteile hat die Schieds- gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit in Marokko?
Mit der jüngsten Reform hat der marokkanische Gesetzgeber den ohnehin schon international orientierten Regelungsrahmen für Schiedsverfahren poliert, an einigen Stellen erweitert und in ein eigenes Gesetz gegossen. Die praktischen Vorteile der alternativen Streitbeilegung (Alternative Dispute Resolution, kurz ADR) im Wege der Mediation und/oder Schiedsgerichtsbarkeit gelten für Marokko weiter, ebenso wie für andere Staaten. Die ADR wird den Anforderungen der Geschäftswelt häufig besser gerecht als die staatliche Justiz. Schiedsverfahren und Mediation sind schnell, flexibel, vertraulich und (insb. bei Streitigkeiten mit hohen Streitwerten) verhältnismäßig günstig. In Marokko befindet sich die staatliche Gerichtsbarkeit noch in einem Prozess der Modernisierung. Da Verfahrenssprache Arabisch ist und die Richter in der klassischen Ausbildung kaum mit internationalen Streitigkeiten aus der Unternehmerwelt konfrontiert werden, ist ein Prozess vor den Handelsgerichten weniger berechenbar als ein Schiedsverfahren vor einem Spruchkörper, der sich aus Experten zusammensetzt, die in der Regel zumindest Französisch, oft aber auch Englisch sprechen und internationale Erfahrung mitbringen.
2. Das Gesetz Loi n°95-17 vom 13.06.2022 - Ein überfälliges Regelwerk
Das Gesetz ist Teil einer seit mehr als zehn Jahren forcierten Politik Marokkos zur Verstärkung der ausländischen Wirtschaftsbeziehungen, welche bereits durch die in den letzten Jahrzehnten unterzeichneten Freihandelsabkommen – vornehmlich das 2006 in Kraft getretene Abkommen mit den USA und das Assoziierungsabkommen mit der EU aus dem Jahre 2012 – erheblichen Aufwind erfuhren. Darüber hinaus bezweckt das Gesetz die Förderung und Konsolidierung Marokkos als internationalen Standort für Schiedsgerichtsbarkeit und Mediation, gerade mit Blick auf die afrikanische Geschäftswelt, für die Marokko sich als Sprungbrett für europäische und andere nicht-afrikanische Unternehmen positioniert.
3. Marokko war bereits Teil der internationalen Schiedswelt.
Die Einführung des Schiedsgesetzes, das den Anforderungen der Investoren noch besser gerecht werden soll, macht die Bemühungen zur wirtschaftlichen Öffnung Marokkos deutlich. Dabei ist das Land bereits seit 1959 Partei des New Yorker Übereinkommen vom 07.06.1959 (Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen) und seit 1967 auch im Washingtoner Übereinkommen vom 18.03.1965 (Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten).
Das Schiedsgerichtswesen war in Marokko Gegenstand einer Reihe von Reformen. Der 1913 erlassene Dahir zum Code des obligations et contrats (ein dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch vergleichbares Regelwerk) wurde mit der Justizreform im Jahre 1974 grundlegend aktualisiert. Nach einer weiteren Reform im Jahre 2007 gelangte Marokko nun im Jahre 2022 mit dem Gesetz Loi n°95-17 vom 13.06.2022 zur umfassenden, von der marokkanischen Zivilprozessordnung unabhängigen, Kodifizierung des Schiedsgerichtswesens.
4. Wesentliche Neuerungen des Schiedsgerichtswesens in Marokko
Das Gesetz gliedert sich in einen ersten Abschnitt über die Schiedsgerichtsbarkeit (1.) und einen zweiten über die Mediation (2.), welche Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten aufweisen (3.).
In seinem ersten Abschnitt normiert das Gesetz die erwarteten Klarstellungen hinsichtlich diverser Definitionen von Begriffen wie Schiedsverfahren, Schiedsgericht oder zuständiges staatliches Gericht und verankert wesentliche Grundsätze wie etwa die Unabhängigkeit der Schiedsklausel oder den Grundsatz der Zuständigkeitskompetenz mit dem Zweck, die Inanspruchnahme von Schiedsverfahren und dessen Verfahrensbeschleunigung zu fördern.
Das Gesetz zeichnet sich dabei u.a. auch durch seine Flexibilität hinsichtlich interner und internationaler Schiedsverfahren, in Bezug auf Bedingungen für die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung oder die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Schiedsverfahrens in gewissen Verwaltungsangelegenheiten aus.
Es berücksichtigt gleichermaßen den technologischen Fortschritt, indem es den Abschluss der Schiedsvereinbarung, die Stellung von Anträgen und die Korrespondenz von Schriftsätzen auf elektronischem Wege zulässt. Auch schafft es die Möglichkeit, Schiedssprüche auf elektronischem Wege zu erlassen sowie mündliche Verhandlungen und Anhörungen per Videokonferenz abzuhalten. Die ist mit Blick auf die Effizienz und Kostenkontrolle internationaler Verfahren von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Die Liste der Schiedsrichter, die bisher bei den Berufungsgerichten geführt wurde, wird nun durch eine Verordnung geregelt. Zugleich verschärft das Gesetz die Anforderungen an die Ausübung der Tätigkeit als Schiedsrichter.
Der staatlichen Gerichtsbarkeit obliegt dabei sowohl die Zuständigkeit für die Ablehnung von Schiedsrichtern als auch für die Entscheidung über vom Schiedsgericht übergangenen Vortrag. Sofern eine Partei eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist, ist insoweit das Verwaltungsgericht zuständig. Andernfalls liegt es an Zivil- oder Handelsgerichten, mit Ausnahme der internationalen Schiedsverfahren, die weiterhin der Zuständigkeit des Handelsgerichts unterliegen.
5. Neues bei der Mediation in Marokko
Auch der zweite Abschnitt bezüglich der Mediation bringt beachtliche Neuerungen mit sich, da das Mediationsverfahren im Hinblick auf die Bedingungen für die Einrichtung der Mediationsvereinbarung bzw. den Ablauf der Mediation flexibler wird. Mediatoren müssen nun – eigentlich selbstverständlich – eine Reihe von Eigenschaften erfüllen, zu denen Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Integrität und Loyalität zählen. Dabei ist die Wahl des Schiedsrichters oder Mediators nicht unbedeutend, da ein solcher bei Streitigkeiten technischer Natur in besonderem Maße geschätzt ist, vornehmlich bei rechtlichen Fragestellungen bezüglich neuer Technologien, dem Umweltrecht und ganz grundsätzlich bei allen Streitigkeiten, die ein hohes Maß an Fachwissen oder -expertise erfordern. Das Ergebnis der Mediation bleibt ein Vergleich, der vollstreckt werden kann, wobei das Gericht gehalten ist, hierüber innerhalb von sieben Tagen zu entscheiden.
6. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Schiedsverfahren und Mediation in Marokko
Wenngleich es in beiden Fällen darum geht, einen Streit beizulegen, weisen die neuen Regelungen zu Schiedsverfahren und Mediation einige Unterschiede auf.
So ist für die Mediation eine Frist von drei Monaten vorgesehen, innerhalb derer eine Entscheidung herbeizuführen ist. Damit stellt die Mediation ein sehr zügiges Verfahren zur Streitbeilegung dar. Sie kann zwar bis zu einer Höchstfrist von sechs Monaten verlängert werden, im Gegensatz dazu gilt jedoch für Schiedsverfahren bereits grundsätzlich eine Sechsmonatsfrist, die einmalig verlängert werden kann. Die Mediation ist als oft zu Unrecht belächelter kleiner Bruder der Schiedsgerichtsbarkeit nicht nur kürzer, sondern auch kostengünstiger.
Sowohl die Mediation als auch das Schiedsverfahren sind vertraulich; Verhandlungen und Anhörungen sind nicht öffentlich, so dass beide Verfahren für Parteien interessant sind, die den fraglichen Rechtsstreit oder bestimmte Tatsachen hieraus nicht der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen.
Sowohl der Schiedsspruch als auch der Vergleich im Mediationsverfahren sind Entscheidungen, die hinsichtlich der Vollstreckbarkeit dem Wert einer rechtskräftigen und vollstreckbaren Gerichtsentscheidung gleichzusetzen sind. Es muss weder eine Berufungsfrist abgewartet werden, noch nimmt der zur Vollstreckung berufene (staatliche) Richter eine inhaltliche Prüfung vor.
Zu erwähnen bleibt, dass insbesondere die Mediation aufgrund ihres gütlichen Charakters den Parteien noch verstärkter ermöglichen dürfte, ihre Wirtschafts- und Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten und möglicherweise auszubauen. Des Weiteren steht den Parteien der Rückgriff auf eine Mediation auch nach Anrufung eines staatlichen Gerichts oder eines Schiedsgerichts jederzeit offen. Gleichwohl bleibt die Mediation auf die Konsensbereitschaft der Parteien angewiesen. Das Verfahren führt nur dann zu einem vollstreckbaren Titel, wenn sich die Parteien einigen. Andernfalls ist die Mediation ein Umweg zum Schiedsverfahren, an dessen Ende auch ohne die Kooperation einer der Parteien am Ende ein Schiedsspruch steht, der auch gegen den Willen des Unterliegenden vollstreckt werden kann.
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