Aktuelles zum tunesischen Wirtschaftsrecht
Arbeitsrechtsreform in Tunesien: Einschränkungen bei befristeten Arbeitsverträgen und Verbot von Subunternehmerbeschäftigung
20.06.2025
Von unseren deutschsprachigen Rechtsanwälten in Tunis, Herrn Rechtsanwalt Dr. iur. Christian Steiner, c.steiner@cbbl-lawyers.de und Frau Rechtsanwältin Sophie Greiner, s.greiner@cbbl-lawyers.de, Tel. +349 - 55 314 614, mideastlaw.de
sowie Herrn Rechtsanwalt Hazem Abid
Nach der pandemiebedingten Rezession zeigt die tunesische Wirtschaft erste Zeichen der Erholung. Unterstützt durch kräftige Exporte von Olivenöl und einen anziehenden Tourismussektor konnte die Wachstumsrate im Jahr 2024 auf 1,4 % gesteigert werden – ein Fortschritt gegenüber den 0,4 % im Vorjahr. Allerdings bestehen in Tunesien weiterhin Herausforderungen, insbesondere mit Blick auf eine Arbeitslosenquote von rund 16 % (bei jungen Erwachsenen etwa 40 %) und eine anhaltend hohe Inflation.
In diesem Kontext hat die tunesische Regierung am 20.05.2025 eine weitreichende Reform des Arbeitsrechts mit dem Gesetz Loi n° 9-2025 beschlossen, die grundlegende Veränderungen im Umgang mit befristeten Arbeitsverträgen (sog. Contrats à Durée Déterminée – CDD) sowie mit Subunternehmerverhältnissen einleitet. Die Maßnahme zielt auf die nachhaltige Verbesserung von Arbeitsverhältnissen ab, sorgt jedoch zugleich für erhebliche Unruhe in der Wirtschaft und bei Interessenvertretungen.
1. Kernpunkte der neuen Gesetzgebung in Tunesien zur Reform des Arbeitsrechts
a) Grundsatz des unbebefristeten Arbeitsvertrags
Befristete Arbeitsverträge wurden bislang vor allem im Dienstleistungssektor eingesetzt, der rund die Hälfte aller Arbeitsplätze in Tunesien stellt. Gemäß des am 20.05.2025 einstimmig durch das tunesische Parlament angenommenen Gesetzestextes soll künftig jede Beschäftigung grundsätzlich auf Basis eines unbefristeten Vertrags erfolgen. Gemäß des neugefassten Art. 6-4 des Code du travail (tunesisches Arbeitsgesetzbuch) sollen befristete Arbeitsverträge nur noch in den vier folgenden Ausnahmefällen eingesetzt werden:
- Vertretung eines abwesenden Arbeitnehmers
- Temporärer Anstieg des Arbeitsvolumens
- Saisonale Beschäftigung
- Tätigkeit, die objektiv nicht Gegenstand eines unbefristeten Arbeitsvertrags sein kann
Grundsätzlich sollen gemäß des neugefassten Art. 6-2 des Code du travail jedoch unbefristete Arbeitsverträge die Norm sein. Bestehende befristete Arbeitsverträge, die nicht in eine dieser vier Kategorien fallen, werden kraft Gesetzes in unbefristete Verträge umgewandelt.
b) Verbot der Subunternehmerbeschäftigung bei Dauertätigkeiten
Ein weiterer zentraler Bestandteil der Reform ist das Verbot der Beschäftigung über Subunternehmer bei strukturellen Aufgaben innerhalb von Unternehmen. Unternehmen, die solche Tätigkeiten bislang ausgelagert hatten, sind nun verpflichtet, betroffene Arbeitnehmer direkt mit unbefristetem Vertrag zu übernehmen. Nur einmalige oder hochtechnische Einsätze dürfen weiterhin ausgelagert werden, sofern sie die Grundrechte der Arbeitnehmer/innen nicht beeinträchtigen und der betroffene Arbeitnehmer nicht der Unternehmenshierarchie unterliegt.
2. Rechtliche Sanktionen bei Verstößen
Zur Durchsetzung des Gesetzes wurden auch straf- und bußgeldrechtliche Sanktionen eingeführt: Bei erstmaligem Verstoß durch Unternehmen drohen Geldstrafen bis zu 10.000 TND (ca. 3.000 EUR). Im Wiederholungsfall können Freiheitsstrafen von bis zu sechs Monaten verhängt werden.
3. Wirtschaftliche Reaktionen und juristische Herausforderungen
Die tunesische Wirtschaft reagierte mit Skepsis und teilweise drastischen Maßnahmen. Im Tourismussektor, tragender Pfeiler der Volkswirtschaft, kam es unmittelbar nach Bekanntwerden des Gesetzes zu präventiven Kündigungen von Arbeitnehmern. Laut Angaben der Fédération Générale du Tourisme (Allgemeiner Tourismus Verband) sollen allein in der tunesischen Region Sousse zwischen 400 und 500 Beschäftigte von den Kündigungen betroffen gewesen sein. Arbeitgeber begründeten diese Entscheidung mit der Sorge vor der Umwandlung von saisonalen Arbeitsverhältnissen in unbefristeter Arbeitsverhältnisse.
Auch die Union Générale Tunisienne du Travail (UGTT), die bedeutendste Gewerkschaft Tunesiens, äußerte sich kritisch. Sie bemängelt vor allem die fehlende Einbindung der Sozialpartner und spricht von einem Gesetz, das überhastet verabschiedet worden sei.
Für Unternehmen in Tunesien bedeutet die Reform einen unmittelbaren Anpassungsbedarf in Bezug auf Personalplanung, Vertragsgestaltung und interne Compliance-Prozesse. Gleichzeitig eröffnet sie Chancen für eine nachhaltigere Personalentwicklung, indem sie Planungssicherheit, Mitarbeiterbindung und rechtliche Klarheit fördert. Es werden jedoch klare Übergangsregelungen und wirtschaftsnahe Auslegungsspielräume notwendig sein, um die Reform mit vertretbaren wirtschaftlichen Risiken umzusetzen.
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Unser deutschsprachiger CBBL-Anwalt in Tunis, Herr Rechtsanwalt Dr. iur. Christian Steiner, steht Ihnen gerne zur Verfügung: c.steiner@cbbl-lawyers.de, Tel. +349 - 55 314 614