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EU- und Vergaberecht: Kein Anspruch auf Gleichbehandlung für Unternehmen aus Drittstaaten ohne internationale Übereinkommen mit der Europäischen Union!
20.05.2025
Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt in Brüssel, Herrn Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., vanderhout@cbbl-lawyers.de, Tel. +32 - 2 - 234 11 60, www.kapellmann.de
Bereits am 26. Februar 2014 erließen das Europäische Parlament und der Rat die Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste. Nunmehr entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 22. Oktober 2024 im Zuge eines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) über die Auslegung der Art. 36 und 76 RL EU 2014/25 und die gestellte Frage nach einem Anspruch auf Gleichbehandlung von Unternehmen aus Drittstaaten im Bereich des öffentlichen Auftragswesens.
I. Hintergrund der Entscheidung
Der Fall, der zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-652/22 führte, betrifft ein türkisches Unternehmen, das sich an einem öffentlichen Vergabeverfahren in einem EU-Mitgliedstaat (Kroatien) beteiligen wollte. Das Verfahren betraf den Bau eines Infrastrukturprojekts, das von einer staatlichen Stelle öffentlich ausgeschrieben wurde.
Das türkische Unternehmen, das sich auf den Bau von Infrastrukturprojekten spezialisiert hatte, nahm an diesem Vergabeverfahren teil. Es wurde von der zuständigen nationalen Vergabestelle zunächst als zulässiger Bieter anerkannt und konnte ein Angebot einreichen. Jedoch wurde im Laufe des Verfahrens der Auftrag an ein europäisches Unternehmen vergeben, obwohl dieses zum Zeitpunkt des Ablaufes der Angebotsfrist nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt hatte. Daraufhin wurde jenem Unternehmen eine erneute gesonderte Frist gewährt, um die fehlenden Unterlagen nachzureichen, obwohl in einer ersten Entscheidung die Auftragsvergabe für ungültig erklärt wurde und das Verfahren zur erneuten Prüfung an den Auftraggeber zurückverwiesen wurde. Hierin sah das türkische Unternehmen eine erhebliche Ungleichbehandlung und erhob Klage vor dem zuständigen kroatischen Verwaltungsgericht (Visoki upravni) auf Aufhebung des Vergabebescheids an das europäische Unternehmen mit der Begründung, dass die Einbeziehung der nachgereichten und nicht bereits innerhalb der Angebotsfrist abgegebenen Unterlagen aufgrund des Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung rechtswidrig sei.
Das angerufene Gericht setzte daraufhin das eingeleitete Verfahren aus und beschloss, dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
II. Die Vorlagefrage
Erlaubt es Art. 76 RL 2014/25/EU i.V.m. Art. 36 dieser Richtlinie, dass der Auftraggeber Unterlagen einbezieht, die der Bieter zum ersten Mal nach dem Ablauf der Angebotsfrist vorgelegt hat, wobei diese Unterlagen im ursprünglichen Angebot nicht enthalten waren und Tatsachen belegen, die der Bieter im ursprünglichen Angebot nicht angeführt hatte?
III. Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH entschied, dass die RL 2014/25/EU so zu verstehen sei, dass sie für Unternehmen aus Drittstaaten, die keine Vereinbarung mit der Union über den gleichen Zugang zu öffentlichen Aufträgen haben, nicht gilt. Daher ist ein Vorabentscheidungsersuchen über Fragen zu diesen Regelungen unzulässig. Dazu führte der Gerichtshof aus, dass es zwar grundsätzlich im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV allein Sache des nationalen Gerichts ist, die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zu beurteilen, auch wenn es dem EuGH selbst obliegt, seine eigene Zuständigkeit oder die Zulässigkeit des Ersuchens zu überprüfen. Im vorliegenden Fall sei daher festzustellen, ob die Klage eines Wirtschatsteilnehmers eines Drittstaats bei einem Gericht eines Mitgliedstaates anhand der vom Unionsgesetzgeber eingeführten Vergabevorschriften aus der benannten Richtlinie geprüft werden kann. Dabei sei zunächst generell festzustellen, dass die Union gegenüber bestimmten Drittstaaten durch internationale Übereinkünfte (GPA, o.ä.) gemäß Art. 43 RL 2014/25/EU verpflichtet sei, deren Wirtschaftsteilnehmern unter keinen ungünstigeren Bedingungen Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu gewähren, als dies für europäische Unternehmen der Fall ist. Die Türkei fällt jedoch nicht in jene Gruppe von Drittstaaten. Denn es existiert kein solches Abkommen für eine etwaige Begünstigung türkischer Wirtschaftsteilnehmer. Eine Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Gleichbehandlungsregelungen ist somit vorliegend nicht geboten. Vielmehr würde eine solche unbegrenzte Ausweitung der RL 2014/25/EU darauf hinauslaufen, dass sämtlichen Wirtschaftsteilnehmern aus jedweden Drittstaaten ein gleicher Zugang zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge zu gewährleisten wäre.
Auch eine Überprüfung der nationalen Rechtsvorschriften anhand der besagten Richtlinie schließt der EuGH aus. Er stellt hierzu fest, dass nach den Artikeln 207 und 3 Absatz 1 Buchstabe e AEUV nur die Union befugt ist, einen allgemein gültigen Rechtsakt zu erlassen, der den Zugang von Unternehmen aus Drittstaaten regelt, die keine internationale Vereinbarung mit der Union über den gleichwertigen Zugang zu öffentlichen Aufträgen haben. Die Mitgliedstaaten dürfen dabei in einem solchen Fall nur tätig werden, wenn sie von der Union hierzu ermächtigt wurden, oder um Rechtsakte der Union durchzuführen. Beides ist vorliegend nicht der Fall. In Ermangelung solcher Rechtsakte der Union ist es somit Sache des Auftraggebers, zu beurteilen, ob Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittstaat wie der Türkei (ohne Internationale Übereinkommen) zu einem Verfahren für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zuzulassen sind, und falls er dies bejaht, ob eine Bewertungsanpassung bei den Angeboten jener Teilnehmer vorzusehen ist.
Nationale Behörden sind somit nicht dafür zuständig, die nationalen Bestimmungen, mit denen die in RL 2014/25/EU enthaltenen Vorschriften umgesetzt werden, auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten, die keine internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen haben, anzuwenden. Unter diesen Umständen könne der EuGH die Vorlagefrage, die im Rahmen des hiesigen Rechtsstreits die Auslegung der Vorschriften der Richtlinie betrifft, nicht für zulässig erklären.
IV. Einordnung und Ausblick
Das Urteil stärkt die Handlungsfreiheit der öffentlichen Auftraggeber und bestimmt die rechtlichen Rahmenbedingungen für Drittstaatsunternehmen klarer. Während dies grundsätzlich zu einer differenzierteren Behandlung führen kann, sollten Unternehmen aus Drittstaaten ihre Strategien anpassen und ihre Teilnahme an Ausschreibungen der EU-Mitgliedstaaten künftig besser vorbereiten. Eine gründliche Analyse der rechtlichen Grundlagen und der konkreten Ausschreibungsbedingungen, welche die Auftraggeber vorgeben, wird für solche Unternehmen hierbei noch wichtiger, um im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu bleiben.
Sie haben weitere Fragen zur Gleichbehandlung für Unternehmen aus Drittstaaten ohne internationale Übereinkommen mit der Europäischen Union? Sprechen Sie uns an!
Unser deutschsprachiger CBBL-Anwalt in Brüssel, Herr Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., berät Sie gerne: vanderhout@cbbl-lawyers.de, Tel. +32 - 2 - 234 11 60, www.kapellmann.de