Aktuelles zum Kartellrecht und EU-Recht
EuGH erklärt verpflichtende nationale Herkunftsangaben bei Lebensmittel für zulässig
04.12.2020
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 01. Oktober 2020 dürfen EU-Mitgliedstaaten bei der Kennzeichnung von Lebensmittel zusätzliche Angaben zur Herkunft auf der Verpackung vorschreiben. Darin liege kein Verstoß gegen Unionsrecht; allerdings müssen für eine weitergehende Kennzeichnung strenge Voraussetzungen erfüllt sein, so die Luxemburger Richter (Rechtssache C-485/18).
Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt in Brüssel, Herrn Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., vanderhout@cbbl-lawyers.de, Tel. +32 - 2 - 234 11 60, www.kapellmann.de
Hintergrund der Entscheidung war eine Klage des französischen Molkereikonzerns Groupe Lactalis vor dem französischen Staatsrat (Conseil d’État) auf Nichtigerklärung eines Dekrets der eigenen Regierung. Das im Jahr 2017 eingeführte Dekret schreibt vor, dass in der Etikettierung von vorverpackten Lebensmitteln die französische, europäische oder die nicht-europäische Herkunft von Milch und als Zutat verwendete Milch anzugeben sind. Nach Auffassung von Lactalis verstößt diese nationale Vorschrift aber gegen die EU-Verordnung zur Lebensmittelinformation (LMIV). Denn diese stelle klare Anforderungen an eine harmonisierte Kennzeichnung von Lebensmitteln in der EU. Der französische Staatsrat hatte die Klage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
In seinem Urteil vom 01. Oktober 2020 stellte der EuGH fest, dass die Harmonisierung durch die LMIV es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, Vorschriften zu erlassen, die zusätzliche verpflichtende Herkunftsangaben vorsehen. Dies gelte allerdings nur, soweit diese Vorschriften die in der Verordnung aufgezählten Voraussetzungen erfüllen: Daher müssen verpflichtende nationale Angaben besonders gerechtfertigt sein, beispielsweise aus Gründen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, des Verbraucherschutzes, der Betrugsvorbeugung oder zum Schutz von gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechten. Zudem können derartige nationale Vorschriften auch nur erlassen werden, wenn nachweislich eine Verbindung zwischen bestimmten Qualitäten des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft besteht und die Mitgliedstaaten darüber hinaus nachweisen können, dass die Mehrheit der Verbraucher diesen Informationen eine wesentliche Bedeutung beimisst. Das Ursprungs- oder Herkunftsland muss daher vor allem dann angegeben werden, wenn ohne diese Angabe Verbraucher in die Irre geführt werden könnten, weil Etiketten den Eindruck erwecken, dass das Produkt aus einem ganz anderen Herkunftsland stammt.
Zudem betonte der EuGH, dass diese Voraussetzungen nacheinander zu prüfen sind. So ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob nachweislich eine Verbindung zwischen bestimmten Quali-täten des betreffenden Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft besteht. Erst wenn diese Verbindung nachgewiesen ist, so ist in einem zweiten Schritt festzustellen, ob die Mehrheit der Verbraucher diesen Informationen wesentliche Bedeutung beimisst. Die Beurteilung dieser nachweislichen Verbindung kann allerdings nicht auf der Grundlage rein subjektiver Kriterien erfolgen, die eine Mehrheit der Verbraucher zwischen dem Ursprung oder der Herkunft der betreffenden Lebensmittel und bestimmter Qualitäten dieser Lebensmittel herstellt.
Es genüge laut dem EuGH zudem auch nicht, zur Begründung einer solchen Verbindung auf eine leichte Verderblichkeit des Lebensmittels abzustellen oder auf eine eingeschränkte Transportfähigkeit hinzuweisen. Denn der Begriff der „Qualitäten“ sei in diesem Zusammenhang dahingehend zu verstehen, dass die Qualitäten mit dem Ursprung oder der Herkunft eines bestimmten Lebensmittels zusammenhängen müssen, heißt es im Urteil.
Nach Einschätzung des deutschen Milchindustrie-Verbandes (MIV) müsse der französische Staatsrat im Einklang mit der Entscheidung des EuGH das nationale Dekret nun aufheben, da keine hinreichende Rechtfertigung für die zusätzlichen verpflichtenden Angaben über die Herkunft der Milch vorliege. „Eine Rechtfertigung der verpflichtenden Herkunftsbezeichnung allein mit dem Wunsch der französischen Verbraucher, die Herkunft des Lebensmittels zu wissen, ist nach diesem Urteil ausgeschlossen“, so der MIV-Justitiar Dr. Jörg Rieke.
Dem Urteil wird grundlegende Bedeutung zugemessen. Die Europäische Kommission hatte die französische Regelung ursprünglich nur im Rahmen einer zweijährigen Testphase genehmigt. Nach Ablauf dieser Frist hatte Frankreich aber die Geltungsdauer einseitig verlängert, ohne dass es zu einem Einschreiten von Seiten der Kommission kam. Neben Frankreich haben inzwischen auch sieben weitere Mitgliedstaaten zusätzliche, verpflichtende nationale Ursprungsangaben eingeführt.
Noch Anfang September diesen Jahres hatte die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf dem EU-Agrarministerrat in Koblenz vor einem überbordenden Konsumnationalismus gewarnt. Zwar sind nach dem Urteil des EuGH zusätzlich verpflichtende Herkunftsangaben durch die Mitgliedstaaten grundsätzlich möglich – allerdings wurde auch noch einmal deutlich, dass dies nur unter den engen Voraussetzungen der LMI-Verordnung möglich ist. Die Luxemburger Richter schoben den zunehmenden nationalen Tendenzen bei der Herkunftskennzeichnung somit einen Riegel vor.
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