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CBBL Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., Kanzlei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel
Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M.
Rechtsanwalt und Advocaat
Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel

Aktuelles zum Kartellrecht und EU-Recht

EuGH: Vor der Insolvenzeröffnung entstandene Zahlungsforderungen sind nicht Teil des Insolvenzverfahrens

16.04.2020

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 21.11.2019 entschieden, dass Zahlungsforderungen, die aufgrund eines Vertrages vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entstanden sind, nicht als Teil des Insolvenzverfahrens angesehen werden können.

Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt in Brüssel, Herrn Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., vanderhout@cbbl-lawyers.de, Tel. +32 - 2 - 234 11 60, www.kapellmann.de

Dieses Urteil erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften.

Am 09.06.2010 schloss eine schwedische Gesellschaft mit einer in Polen ansässigen Gesellschaft einen Liefervertrag, der eine Klausel enthielt, wonach bei Fragen der Vertragsauslegung schwedisches Recht anzuwenden war. Im Juli 2011 und nachdem ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der polnischen Liefergesellschaft in Polen eröffnet wurde, beantragte der bestellte Insolvenzverwalter den Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls gegen die schwedische Gesellschaft wegen einer Forderung aus Warenlieferung. Die schwedische Gesellschaft verweigerte die Bezahlung mit der Begründung, dass sie gegen die polnische Liefergesellschaft eine Gegenforderung zur Aufrechnung als Schadensersatz wegen nicht erfolgter Lieferungen und der Lieferung mangelhafter Waren hatte.

Das erstinstanzliche Gericht von Schweden setzte sich mit der Rechtsfrage auseinander, welches Recht auf die von der schwedischen Gesellschaft geltend gemachte Aufrechnung anzuwenden war.

Unter Berufung auf Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000, die das grenzüberschreitende Insolvenzverfahren im Binnenmarkt regelt (EuInsVO), vertrat der Insolvenzverwalter die Meinung, dass polnisches Recht in Anwendung kam. Nach Art. 4 Abs. 1 der VO gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaates, in dem das Verfahren eröffnet wurde. Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung sind weiterhin vom Recht des Staates der Verfahrenseröffnung zu bestimmen (Art. 4 Abs. 2 Buchst. d EuInsVO).

Hierauf erwiderte die schwedische Gesellschaft, dass auf die Aufrechnung der Forderungen schwedisches Recht anwendbar sei, denn es gehe um eine sich aus dem Vertrag ergebene Forderung, die gemäß der verbindlichen Klausel dem schwedischen Recht unterliege (Art. 3 Abs. 1 der Rom‑I-VO). Darüber hinaus machte sie geltend, dass ihr Aufrechnungsrecht nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt bleibe, da dieses nach dem anwendbaren schwedischen Recht zulässig sei.

Obgleich sowohl das Amts- als auch das Berufungsgericht für die Zuständigkeit der polnischen Gerichte und die Anwendung des polnischen Rechts entschieden haben, handelte es sich hierbei nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes von Schweden um die Frage, ob Art. 4 der EuInsVO auch Klagen umfasst, mit denen die Zahlung von Forderungen begehrt wird, die aufgrund eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Vertrages entstanden sind. Diese Frage wurde dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Um festzustellen, ob die betreffende Zahlungsklage unter Art. 4 der EuInsVO fällt, war nach Ansicht des EuGH vorab zu prüfen, erstens, ob hierbei der der Klage zugrunde liegende Anspruch den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts entsprang oder den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren.

Da allerdings, dem Gerichthof und dem Generalanwalt zufolge, Art. 4 der EuInsVO einen breiten Anwendungsbereich hat, ist nicht nur auf Insolvenzverfahren, sondern auch auf deren Wirkungen anwendbar. Somit war zweitens zu prüfen, ob diese Klage nicht die unmittelbare und untrennbare Folge eines Insolvenzverfahrens war.

Nach Auffassung des Gerichthofs könne allein aus der Tatsache, dass eine Klage im Rahmen eines Insolvenzverfahrens oder vom Insolvenzverwalter erhoben wird, nicht abgeleitet werden, dass diese Klage Teil des Insolvenzverfahrens oder seiner Wirkungen sei. Einerseits kann der Gläubiger selber eine Klage auf Zahlung von Waren erheben, die aufgrund vom Vertrag geliefert wurden. Demgemäß gehört diese Klage nicht der ausschließlichen Zuständigkeit des Insolvenzverwalters. Andererseits hängt die Erhebung einer solchen Klage nicht von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ab. Sie kann nämlich jederzeit erhoben werden, abgesehen davon, ob ein Insolvenzverfahren vorliegt oder nicht.

Der Gerichtshof stellte demnach mit dieser Argumentation fest, dass die betreffende Klage nicht als unmittelbare und untrennbare Folge eines Insolvenzverfahrens anzusehen ist und weiterhin Art. 4 der EuInsVO keine Anwendung auf Zahlungsanforderungen findet, die in Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossenen Vertrages geltend gemacht werden.

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