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Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M.
Rechtsanwalt und Advocaat
Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel

Aktuelles zum Kartellrecht und EU-Recht

Flightright

02.07.2018

Zur Anwendbarkeit des Gerichtsstands des Erfüllungsortes gegenüber einem Beklagten mit Sitz in einem Drittstaat und Auslegung der Begriffe „Erfüllungsort“ und „Ansprüche aus einem Vertrag“ i.S. der Brüssel-I-VO und Brüssel-Ia-VO

Mit Urteil vom 07.03.2018 in der Sache flightright (Az.: C-274/16) setzte sich der EuGH anlässlich eines Vorabentscheidungsersuchens u.a. des BGH zum einen mit der Frage auseinander, ob der (Wohn-)Sitz des Beklagten in einem Drittstaat der Anwendbarkeit des besonderen Gerichtsstandes des Erfüllungsortes i.S.d. VO (EG) Nr. 44/2011 (im Folgenden: Brüssel-I-VO) entgegensteht. Zum anderen unterzog er die Begriffe „Erfüllungsort“ und „Ansprüche aus einem Vertrag“ einer Auslegung dahingehend, ob ein in einem Mitgliedsstaat ansässiges und eine aus mehreren Teilstrecken bestehende Flugreise ausführendes Luftfahrtunternehmen, ohne Vertragspartner des betroffenen Fluggasts zu sein, nach dessen Wahlrecht am letzten Ankunftsort in Deutschland verklagt werden kann.

Alle drei vorausgegangenen Ausgangsstreitigkeiten hatten gemein, dass die Fluggäste im Rahmen einer Gesamtbuchung jeweils eine aus zwei Flügen bestehende Flugreise gebucht hatten, wobei der gestörte Teilstreckenflug von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde bzw. hätte durchgeführt werden sollen, welches nicht selbst Vertragspartner des betroffenen Fluggasts war. In keinem Fall kam es zu einem nennenswerten Aufenthalt auf dem Umsteigeflughafen.

Im ersten Fall buchte der Kläger bei Hainan Airlines mit Sitz außerhalb der EU einen Flug von Berlin (Deutschland) über Brüssel (Belgien) nach Peking (China). Nachdem ihm der Flug auf der zweiten Teilstrecke gegen seinen Willen verweigert wurde, klagte er vor dem AG Berlin-Wedding auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c Verordnung (EG) 261/2004 (im Folgenden: Fluggastrechte-VO).

Im zweiten Fall war eine von Air Berlin angebotene Flugreise von Ibiza nach Düsseldorf über Palma de Mallorca. Im dritten Fall buchte der Kläger bei Iberia eine Flugreise von Melilla (Spanien) nach Frankfurt a.M. über Madrid. In beiden Fällen kam es zu wesentlichen Verspätungen auf dem ersten, von Air Nostrum durchgeführten, Teilstreckenflug, wodurch die Passagiere ihren Anschlussflug verpassten. Daraufhin verklagten die Fluggäste Air Nostrum auf Ausgleichszahlungen. Die vorlegenden deutschen Gerichte erhoben aber Zweifel hinsichtlich ihrer internationalen Zuständigkeit.

Im ersten Fall entschied der EuGH, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Brüssel-I-VO auf einen Beklagten mit (Wohn-)Sitz in einem Drittstaat keine Anwendung findet. Dies folge bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, wonach der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nur dann einschlägig sein kann, wenn der Beklagte seinen „Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat“. Zwar finde die Vorschrift nur auf natürliche Personen direkte Anwendung. Bei Gesellschaften, wie Hainan Airlines, sei gem. Art. 60 Abs. 1 Brüssel-I-VO auf ihren Verwaltungssitz abzustellen. Da Hainan Airlines über keine Zweigniederlassung in einem Mitgliedsstaat verfügt, finde vielmehr Art. 4 Abs. 1 der VO Anwendung, wonach sich die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats nach dessen eigenen Gesetzen bestimme.

Im zweiten und dritten Fall bejahte der EuGH die Passivlegitimation des ausführenden Flugunternehmens Air Nostrum. So handle auch ein Luftfahrtunternehmen, das lediglich einen Teilstreckenflug ausführe, freiwillig im Namen des Vertragspartners des Fluggastes. Es sei daher gem. Art. 3 Abs. 5 S. 2 Fluggastrechte-VO ausführendes Flugunternehmen i.S.d. Art. 3 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung und müsse die Verpflichtungen aus dieser erfüllen.

Weiterhin übertrug der EuGH seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs „Erfüllungsort“ in Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich Brüssel-I-VO und Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel-Ia-VO) auf den vorliegenden Fall. So entschied er bereits mehrfach, dass unter dem Erfüllungsort, wenn Dienstleistungen an mehreren Orten in verschiedenen Mitgliedstaaten erbracht werden, grundsätzlich der Ort zu verstehen ist, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zuständigen Gericht besteht, wobei dies im Allgemeinen der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung sein wird. Daraus schloss er konsequent, dass dem Fluggast bei einem Direktflug ein Wahlrecht zwischen Abflugsort und Endziel, als diejenigen Orte, an denen die Dienstleistungen hauptsächlich erbracht werden, zusteht. Allein der Umstand, dass Abflug und Ankunft am Endziel ein Umsteigen zwischengeschaltet ist und die gestörte Beförderung nur eine Teilstrecke betrifft, vermöge das vertragliche Näheverhältnis zum Endziel nicht aufzuheben. Den Fluggästen stehe es daher frei, dort Klage zu erheben.

Wer eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Gerichtsstands des Erfüllungsortes auf Drittstaaten befürwortet, dürfte angesichts der Entscheidung enttäuscht sein, denn der Gerichtshof hat bekräftigt, dass der Gesetzeswortlaut eine solche Auslegung nicht zulässt. Für Fluggäste dürfte das Urteil erfreulich sein, da es ihre Rechte im Hinblick auf Umsteigeflüge stärkt. Ob seitens der betroffenen Luftfahrtunternehmen anlässlich der Entscheidung Besorgnis angebracht ist, bleibt abzuwarten, da sich viele Fluggäste innereuropäischer Flüge noch immer nicht über ihre Rechte bewusst sind. Dies dürfte nicht zuletzt auch an der vielseits als unpräzise kritisierten Fluggastrechte-VO liegen. Jedenfalls aber hat der Gerichtshof diesbezüglich einmal mehr Licht ins Dunkle gebracht.