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CBBL Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., Kanzlei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel
Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M.
Rechtsanwalt und Advocaat
Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel

Aktuelles zum Kartellrecht und EU-Recht

Ne bis in idem – EuGH-Entscheidungen zum Verbot doppelter Bestrafung im Wettbewerbsrecht

09.05.2022

Der Rechtsgrundsatz ne bis in idem wurde nicht nur in der deutschen Verfassung niedergelegt, sondern hat auch in Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Eingang gefunden. Er verbietet – kurz gesagt – die mehrmalige Verfolgung derselben Straftat.

Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt in Brüssel, Herrn Rechtsanwalt und Advocaat Prof. Dr. Robin van der Hout, LL.M., vanderhout@cbbl-lawyers.de, Tel. +32 - 2 - 234 11 60, www.kapellmann.de

Jüngst bekam der EuGH durch zwei Vorlagen – eine vom österreichischen Obersten Gerichtshof, eine vom Brüsseler Appellationshof – Gelegenheit, sich zum Umfang des Doppelbestrafungsverbots im Wettbewerbsrecht zu äußern.

Zuckerkartell und Kronzeugen – Verfolgung in Deutschland und Österreich?

Anlass der Befassung des EuGH war ein Telefonat zweier großer deutscher Zuckerhersteller, in dem der österreichische Zuckermarkt thematisiert wurde. Gegen beide Hersteller wurden in Österreich und Deutschland, unter anderem unter Berufung auf dieses Telefonat, Verfahren wegen Verstoßes gegen europäisches Kartell- und nationales Wettbewerbsrecht eingeleitet. Während das österreichische Verfahren noch lief, hatte das deutsche Bundeskartellamt die Wettbewerbswidrigkeit nach deutschem und Unionsrecht bereits festgestellt. Auch in Anknüp-fung an das Telefonat wurde einer der beiden Hersteller in Deutschland rechtskräftig mit einer Geldstrafe belegt. Der andere Zuckerhersteller hatte hingegen von der sogenannten Kronzeu-genregelung Gebrauch gemacht und ging daher sanktionslos aus.

Geht es vorliegend um eine Handlung, die in zwei Staaten verfolgt wurde, beschäftigte die österreichischen Gerichte, ob eine weitere Verfolgung des wettbewerbswidrigen Verhaltens in Österreich gegen das Doppelbestrafungsverbot verstieße. Verkompliziert wurde der Sachverhalt weiter dadurch, dass einer der Hersteller in Deutschland als Kronzeuge keine Bestrafung erfuhr. Als der Fall beim Obersten Gerichtshof Österreichs landete, legte dieser in Luxemburg diese Fragen zu ne bis in idem im Wettbewerbsrecht zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH bestätigt die Anwendbarkeit von ne bis in idem auch bei Kronzeugen

Am 22.03.2022 folgte die Entscheidung: Der EuGH bestätigte die grundsätzliche Anwendbarkeit des Doppelbestrafungsverbots im Wettbewerbsrecht für Verfahren, die auf die Erteilung von Geldbußen gerichtet sind. Er stellte wiederholt klar, dass maßgeblich ist, ob es eine frühe-re endgültige Entscheidung gibt (ne bis), bei der auf denselben Verstoß (in idem) abgestellt wurde. Während eine endgültige Entscheidung durch das rechtskräftige Bußgeld des Bundeskartellamts offensichtlich vorlag, war es komplexer, eine doppelte Anknüpfung an dasselbe Verhalten zu bescheiden.

Der EuGH wies darauf hin, dass das nationale österreichische Gericht prüfen muss, ob für die deutsche Entscheidung auch ein Verstoß auf dem österreichischen Markt maßgeblich war, oder ob nicht das Bundeskartellamt vielmehr nur einen Verstoß im eigenen Hoheitsgebiet geahndet hatte. Beziehe sich die deutsche Entscheidung nur auf einen Verstoß in Deutschland, findet ne bis in idem keine Anwendung, weil es nicht um dieselbe Tat geht. Die österreichische Behörde könnte einen Verstoß in Österreich dann zusätzlich bestrafen.

Außerdem stellte der EuGH klar, dass das unionsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung nicht absolut gilt, sondern Einschränkungen vielmehr gerechtfertigt sein können. Das Kartellverbot in Art. 101 AEUV rechtfertige jedoch trotz seiner besonderen Relevanz für den Binnenmarkt nicht per se eine doppelte Verfolgung desselben wettbewerbswidrigen Verhaltens.

Schließlich musste der EuGH sich zu ne bis in dem und der Kronzeugenregelung verhalten: Er entschied, dass nicht die Sanktionierung als solche maßgeblich für die Anwendung des Doppelbestrafungsverbots ist. Andersherum ausgedrückt also ein bloßer Entfall der Bestrafung trotz endgültiger Feststellung eines Verstoßes (und dies zeichnet Kronzeugenregelungen gerade aus) die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem nicht ausschließt. Auch „unbestrafte“ Kronzeugen sind damit vor doppelter Verfolgung geschützt.

Parallelentscheidung – Einschränkungen des Doppelbestrafungsverbots

Der belgische Appellationshof legte dem EuGH bereichsverwandte Fragen zur Entscheidung vor, die in wettbewerbsrechtlichen Verfahren im belgischen Postwesen aufgekommen waren. Während eine Frage – ähnlich zum Zuckerkartell-Verfahren – die Abgrenzung unterschiedlicher Verfolgungsmaßnahmen betraf, ging es in der anderen um die möglicherweise durch das Kartellverbot gerechtfertigte Einschränkung des Grundrechts.

Zu letzterem führte der EuGH aus, dass nationale Regelungen, die eine kumulierte Verfolgung desselben Verhaltens ermöglichen, unionsrechtlich gerechtfertigt sein können. Für die Rechtfertigung einer Einschränkung des Grundrechts auf Schutz vor doppelter Strafe ist jedoch notwendig, dass der Normadressat präzise und klare Regelungen vorfindet: Er muss anhand dieser definitiv ablesen können, wann eine Kumulation von Verfolgungsmaßnahmen und Strafen aus unterschiedlichen Rechtsbereichen und mithin auch die Kumulation des Umfangs der Strafe wegen desselben Verhaltens möglich ist.

Ne bis in idem und Wettbewerbsrecht – Status quo

Die Entscheidungen der vorlegenden Gerichte bleiben gespannt abzuwarten. Bemerkenswert an den Luxemburger Entscheidungen ist neben der Klarstellung, dass Kronzeugen – auch wenn sie nicht mit Strafen belegt wurden – einer erneuten Strafverfolgung entzogen sind, vor allem, dass Kartellanten je nach Ausgestaltung des grenzüberschreitenden Verstoßes mit pa-rallelen oder kumulierten Verfolgungsbestrebungen zu rechnen haben. Wenn auch dies nicht als „Verschärfung“ der Entscheidungspraxis gelesen werden muss, unterstreicht es die Schwe-re möglicher Konsequenzen wettbewerbswidrigen Verhaltens, das auch deshalb zu vermeiden ist.

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