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CBBL Solicitor (Hong Kong) & Attorney at Law (Germany) Stefan Schmierer, Kanzlei Ravenscroft & Schmierer, Hong Kong Western District
Stefan Schmierer
Solicitor (Hong Kong) & Attorney at Law (Germany), Ravenscroft & Schmierer, Hong Kong Western District

Aktuelles zum Wirtschaftsrecht in Hong Kong

Update zur Schiedsgerichtsbarkeit in Hong Kong

07.07.2023

Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt in Hong Kong, Herrn Rechtsanwalt Stefan Schmierer, schmierer@cbbl-lawyers.de, Tel. +852 2388 3899, www.rs-lawyers.com.hk


Im Fall Li Wenjun (Klägerin) gegen Chen Chunhui (Erstbeklagter) [2023] HKCFI 405 wurde dem Hong Konger Gericht ein Antrag des Erstbeklagten vorgelegt, das Verfahren auszusetzen und den Streit an das Schiedsgericht zu verweisen. Das Gericht wies den Antrag ab und entschied, dass der Disput nicht von der betreffenden Schiedsklausel erfasst wurde und der Erstbeklagte sein Recht auf ein Schiedsverfahren verwirkt hatte.

1. Hintergrund zum Verfahren

Der Fall entstand aus einer Investitionsvereinbarung zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten, bei der die Klägerin zustimmte, ihre Aktien an ein vom Erstbeklagten kontrolliertes Unternehmen zu übertragen, in dem Verständnis, dass er sie in ihrem Namen verwalten würde. Die Klägerin unterzeichnete mehrere Dokumente im Zusammenhang mit der Aktienübertragung, einschließlich eines Aktienübertragungsvertrags, der eine Schiedsklausel in chinesischer Sprache enthielt. Später entdeckte die Klägerin, dass ihre Aktien nicht an ein Unternehmen unter der Kontrolle des Erstbeklagten übertragen worden waren, sondern an ein Unternehmen, an dem der Erstbeklagte keine Kontrolle oder Anteile hatte. Daraufhin leitete die Klägerin rechtliche Schritte gegen den Erstbeklagten ein und warf ihm Täuschung und kollusives Zusammenwirken (deceit and conspiracy) vor.

2. Vom Hong Konger Gericht behandelte Fragen

Die Schiedsklausel im Aktienübertragungsvertrag sah folgendes vor:

“因履行本协议所发生的争议,各方应友好协商解决:协商解决不能的,任一方均有权向香港国际仲裁中心按照其在本协议签署时现行有效的仲裁规则提起仲裁解决”.

Bei der Behandlung des Antrags auf Verfahrensaussetzung musste das Gericht folgende Aspekte berücksichtigen:

  • Ob die fragliche Klausel eine Schiedsvereinbarung darstellt («Frage 1»);
  • Ob die Schiedsvereinbarung nichtig oder undurchsetzbar ist («Frage 2»);
  • Ob ein echter Rechtsstreit zwischen den Parteien besteht («Frage 3»);
  • Ob der Streit in den Geltungsbereich der Schiedsklausel fällt («Frage 4»).

Das Gericht stellte fest, dass Fragen 4 und 2 für die Verteidigung der Klägerin gegen den Aussetzungsantrag entscheidend waren.

a. Frage 4: Ob der Streit in den Geltungsbereich der Schiedsklausel fällt

In Bezug auf den ersten Teil der Schiedsvereinbarungsklausel, “因履行本协议所发生的争议” (Streitigkeiten, die sich aus der Erfüllung dieser Vereinbarung ergeben), waren sich beide Seiten einig, dass die fraglichen Streitigkeiten deliktischer Natur waren. Die Auslegung der Klausel hing davon ab, wie sie nach dem Recht der VR China zu verstehen war. Diesbezüglich legten sowohl die Klägerin als auch der Erstbeklagte ein Sachverständigengutachten zu ausländischem Recht vor.

Gutachten zum ausländischen Recht

Das Gericht beurteilte die Gutachten zum ausländischen Recht, indem es die Grundlage der rechtlichen Argumentation bewertete und daraufhin festhielt, inwiefern diese ins Gewicht fallen sollten. Wenn die Sachverständigengutachten der Parteien nicht hilfreich sind, muss das Gericht eine sprachliche und vernunftgemäße Auslegung vornehmen.

Das Gericht stellte fest, dass das Sachverständigengutachten der Klägerin zu der Frage, ob die deliktischen Streitigkeiten von der Klausel erfasst werden (d.h. der Ausdruck "因履行本协议所发生的争议"), mit einem ähnlichen Fall übereinstimmte, der am Obersten Gericht entschieden worden war. Im Gegensatz dazu stellte das Gericht fest, dass das Sachverständigengutachten des Erstbeklagten keine ausreichende Grundlage für seine Argumentation bot.

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Schiedsvereinbarung keine deliktische Streitigkeit umfasst.

b. Frage 2: Ob die Schiedsvereinbarung nichtig oder undurchsetzbar ist

Wenn eine Partei auf ihr Recht auf ein Schiedsverfahren verzichtet, wird die Schiedsvereinbarung unwirksam. Ein Verzicht liegt vor, wenn (1) eine Partei ein vertragliches oder gesetzliches Recht (auf Schiedsgerichtsbarkeit) besitzt; (2) die Partei von der Existenz des Rechts oder den Tatsachen, die es begründen, Kenntnis hat; und (3) die Partei klar und unmissverständlich auf das Recht verzichtet oder zu erkennen gibt, dass sie es nicht ausüben wird.

Bei der Prüfung des Verhaltens des Erstbeklagten verfolgte das Gericht einen ganzheitlichen Ansatz, um festzustellen, ob dieses Verhalten einen Verzicht auf sein Recht auf Schiedsgerichtsbarkeit darstellte. Das Gericht stellte fest, dass aus der Klageschrift der Klägerin deutlich hervorging, dass dem Erstbeklagten die Umstände im Zusammenhang mit dem Aktientransfervertrag bekannt waren und dieser sich dennoch darauf beschränkte, die Klage mit der Begründung abzuwehren, dass er nichts mit dem Aktientransfer der Klägerin zu tun habe. Eine solche Verteidigung stand im Widerspruch zum Aktientransvertrag. Darüber hinaus erhob der Erstbeklagte keinen Einspruch, als die Klägerin später beantragte, die Klageschrift zu ändern. Das Gericht bekräftigte das anwendbare Prinzip, dass der Erstbeklagte, wenn eine Änderung einer Klageschrift Fragen aufwirft, die der Erstbeklagte durch Schiedsgerichtsbarkeit klären lassen möchte, Einwände gegen die Änderung aus diesem Grund zum Zeitpunkt des Antrags auf Änderung erheben sollte. Da der Erstbeklagte seinen Einspruch erst zum Zeitpunkt des Änderungsantrags erhoben hat, stellte das Gericht fest, dass der Erstbeklagte sein Recht auf Schiedsgerichtsbarkeit aufgegeben hatte

Fazit

Dieser Fall ist eine Warnung: Obwohl die Hong Konger Gerichte im Allgemeinen für ihre pro-schiedsgerichtliche Haltung bekannt sind, prüfen sie Schiedsklauseln letztendlich gemäß ihrer ordnungsgemäßen Auslegung, wenn es darum geht festzustellen, ob ein Streitfall in den Geltungsbereich einer Schiedsklausel fällt oder nicht.

Parteien einer Schiedsvereinbarung sollten daher die wesentlichen Elemente einer gültigen Schiedsvereinbarung klar definieren und spezifizieren und darauf achten, Fallstricke zu vermeiden, die verhindern könnten, dass ein Gericht die Schiedsvereinbarung tatsächlich zur Anwendung kommen lässt.

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