Ihre deutschsprachige Rechtsanwaltskanzlei in der Türkei
CBBL Avukat Assoc. Prof. Dr. jur. Mehmet Köksal, Kanzlei KÖKSAL AVUKATLIK ORTAKLIǦI, Istanbul
Assoc. Prof. Dr. jur. Mehmet Köksal
Avukat
KÖKSAL AVUKATLIK ORTAKLIǦI
Istanbul


LkSG-Ratgeber für die Türkei (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz)

Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt Herrn Assoc. Prof. Dr. jur. Mehmet Köksal, Avukat, koksal@cbbl-lawyers.de, Tel. +90 - 212 276 98 20, www.koksal.av.tr


Überblick der spezifischen Menschenrechts- und Umweltschutz- Risiken in Ihrem Türkei-Geschäft für das Risikomanagement gemäß dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

I. Einführung

Mit dem neuen deutschen Lieferkettengesetz (offiziell: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz; abgekürzt: LkSG) vom 16. Juli 2021 sind betroffene Unternehmen unter anderem dazu verpflichtet, ein angemessenes und wirksames Risikomanagement bezüglich der in ihren Lieferketten auftretenden ESG-Risiken einzurichten und zu betreiben.

Ab dem 1. Januar 2023 sind zunächst Unternehmen mit mehr als 3.000 Angestellten in Deutschland betroffen. Ab 1. Januar 2024 werden auch Unternehmen ab 1.000 Angestellten in Deutschland in den Anwendungsbereich aufgenommen.

Wir empfehlen jedoch auch Unternehmen, die nicht in den Anwendungsbereich des LkSG fallen, ein ESG- bzw. menschenrechts- und umweltbezogenes Risikomanagement einzurichten. Abgesehen davon, dass Sie dadurch Menschenrechte und den Umweltschutz verbessern, gibt es auch weitere Gründe, die für den Erfolg Ihres Unternehmens von großer Bedeutung sein können:

  • Ein effektives und umfassendes ESG-Risikomanagement schafft Resilienz in Ihrem Unternehmen und macht Ihr Unternehmen aus mehreren Gesichtspunkten auch für Ihre B2B-Kunden attraktiver.
    • Vor allem können Sie als Lieferant eines vom LkSG direkt betroffenen Unternehmens indirekt von den Pflichten betroffen sein. Denn die direkt betroffenen Unternehmen werden von ihren Lieferanten ähnliche (wenn nicht die gleichen) Maßnahmen verlangen.
    • Es kommt hinzu, dass unabhängig von dem LkSG ein positives Menschenrechts- und Umwelt- Profil Ihres Unternehmens für Ihre Kunden von Tag zu Tag an Bedeutung gewinnt und immer mehr und stärker Kaufentscheidungen beeinflusst. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass negative Nachrichten die Ihre Lieferkette betreffen, den wirtschaftlichen Erfolg Ihres Unternehmens stark beeinflussen können.
    • Dies gilt nicht nur für den Handel bzw. Dienstleistungen, sondern auch für industrie- und finanzrelevante Investitionen und M&A Transaktionen. Bloomberg Intelligence berichtete in 2021, dass ESG-Anlagen bis 2025 Weltweit mehr als 50 Billionen US-Dollar erreichen werden (also ein Drittel des insgesamt global verwalteten Vermögens).
  • Ein EU-Gesetz soll künftig Unternehmen in der EU bereits ab 500, und in bestimmten Hochrisiko-Branchen schon ab 250 Angestellten (in Kombination mit bestimmten Umsatzschwellen) zu teilweise strengeren Vorgehensweisen verpflichten. Unternehmen könnten also auch in Erwägung ziehen, sich bereits jetzt auf das EU-Gesetz vorzubereiten.
  • Manche ESG-Risiken sind für Unternehmen auch unabhängig vom Lieferkettengesetz rechtlich relevant. Neben Risiken, die Verstöße gegen das Geldwäschegesetz und Wirtschaftssanktionen betreffen, spielt beispielsweise das Risiko der Korruption im Ausland auch eine bedeutsame Rolle. Korruption ist nach deutschem Recht im Ausland ebenso strafbar, wie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nach den Gesetzen in dem betroffenen Land. Das bedeutet, dass Sie sich in Deutschland durch Korruption im Ausland strafbar machen können und dass – auch wenn das Recht in dem Land, in dem die Korruption stattfindet, derzeit möglicherweise nicht durchgesetzt wird – ein potenzieller Regimewechsel oder eine Verbesserung der Justiz in Zukunft dazu führen kann, dass Ihr Unternehmen durchaus auch rechtlichen Risiken in dem betroffenen Land ausgesetzt sein kann.

Risikoanalysen und wirksame Beschwerdeverfahren (zudem auch eigenständige Pflichten unter dem LkSG) sind integrale Bestandteile eines wirksamen Risikomanagements, weil Sie Ihrem Unternehmen helfen, Risiken und Verletzungen in Lieferketten zu erkennen und somit für Sie überhaupt die Möglichkeit entsteht, diesen entgegen zu wirken. Vor allem ein durch die betroffenen gut erreichbares Beschwerdeverfahren ist für die Aufdeckung von relevanten Risiken in Ihrer Lieferkette äußerst nützlich.

Risikoanalysen sollten nicht nur auf Landes- bzw. Regionsebene, sondern auch branchen- und produktionsstandort- bzw. lieferantenspezifisch betrieben werden. Ob auch mittelbare Lieferanten (also Lieferanten der Lieferanten) stärker in Ihre Analyse einbezogen werden sollten, richtet sich meistens neben dem Herkunftsland auch nach der Branche der Lieferkette bzw. des Produktes.

Viele Unternehmen ziehen in Erwägung, ihre Produktionsstandorte aus China näher an ihre Verkaufsmärkte zu verlegen, um logistische Probleme und Risiken in Lieferketten zu minimieren. Insbesondere für Märkte in Europa stellt die Türkei nach vielen Kriterien eine sehr attraktive Alternative zu China (sowie auch zu anderen Ländern in Europa und dem Mittleren-Osten) dar. Ein Überblick der ESG- (bzw. menschenrechts- und umweltbezogenen) Risiken auf Landesebene ergibt für die Türkei eine ähnliche Anzahl an Risiken wie in China und auch Indien. Jedoch ist im Vergleich zu beachten, dass vor allem Industrie und Staat in China oft systematischere Menschenrechtsrisiken und -Verletzungen zu verantworten haben, und dass die Ihre Lieferkette betreffenden Risiken bzw. Verletzungen in China oft sehr schwer zu ermitteln bzw. auch zu umgehen sind (siehe dazu unter vielen anderen Berichten: Uiguren in China – Anzeige gegen deutsche Unternehmen).

Folgend beschreiben wir die Risiken auf Landesebene, die in einer Risikoanalyse für einen Lieferkettenteil in der Türkei besonders relevant sind:

II. Menschenrechte (allgemein)

Die Türkei gilt laut der Freedom House-Länderliste als 'nicht frei'. Weiterhin belegt die Türkei im Rechtsstaatlichkeitsindex des World Justice Project eine Punktzahl von 0,42 auf einer Skala von 0 (schlechtestes Ergebnis) bis 1 (bestes Ergebnis) und damit Platz 117 von 139 Ländern. Das bedeutet, dass die Türkei in den Bereichen Korruption, Transparenz und Durchsetzung von Regelungen bezüglich von Grundrechten, Ordnung, Sicherheit, Zivil- und Strafrecht schlecht abschneidet. Obwohl es auch erhebliche Risiken bezüglich der Pressefreiheit gibt, wird auf diese im vorliegenden Artikel nicht eingegangen, da normalerweise eine Relevanz zu den typischen Lieferketten fehlt.

III. Korruption, Geldwäsche & Sanktionen

Im Corruption Perceptions Index der Organisation Transparency International liegt der Korruptionswert der Türkei auf einer Skala von 0 (sehr korrupt) bis 100 (sehr sauber) bei 38. Das bedeutet, dass das Korruptionsrisiko in der Türkei hoch ist. Korruption kommt sehr häufig, sowohl in staatlichen Einrichtungen sowie im Privatsektor, vor. So werden z.B. diverse Bestechungsgelder gezahlt, Einfuhrabgaben und Steuern gesenkt oder amtliche Dokumente gefälscht. Außerdem kann man bei öffentlichen Ausschreibungen mit Korruption konfrontiert werden. Zu beachten ist weiter, dass auch Arbeits- und andere Inspektoren bestechlich sein können, was ebenfalls in Ihrer Risikoanalyse und den spezifischen Prüfungen beachtet werden sollte.

Nach Angaben der OECD erfüllt die Türkei den internationalen Standard zum steuerlichen Informationsaustausch nur teilweise. Dies bedeutet, dass die Türkei als Steueroase angesehen werden kann. Zudem wurde die Türkei Ende 2021 auf die „graue Liste“ der Financial Action Task Force (FATF) genommen. Somit kommen hier zudem Risiken in Bezug auf Geldwäschegesetz und Wirtschaftssanktionen auf.

Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine wird die Türkei von Russischen Unternehmen dazu genutzt, Wirtschaftssanktionen zu umgehen. Es kommt hinzu, dass laut Medienberichten in den ersten 8 Monaten des Jahres 2022 mehr als 28 Milliarden USD aus unbekannten Quellen in die Türkei geflossen ist.

IV. Arbeitsrechte

Im Bereich der Arbeitsrechte (als eine Art Unterkategorie der Menschenrechte) sollten Unternehmen folgende konkreten Risiken beachten:

1. Diskriminierung von Frauen

Obwohl die Türkei – insbesondere für die geographische Region – ein relativ modernes Land ist, gibt es dennoch Probleme bezüglich der Diskriminierung von Frauen. Nach dem Gesetz sind Frauen in der Türkei Männern schon seit fast einem ganzen Jahrhundert rechtlich gleichgestellt. Dennoch bleibt die Diskriminierung (bzw. die wirtschaftliche und soziale Benachteiligung) in der Arbeitswelt eine Realität.

2. Diskriminierung von LGBT-Personen

Des Weiteren gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass anhaltende Diskriminierung, Straffreiheit für Gewalt und fehlende rechtliche Anerkennung und Schutz für LGBT-Personen in der Türkei nach wie vor ein Problem darstellen. Einhergehende Risiken unter den Arbeits- bzw. Menschenrechten sollten in Ihrer Lieferkette beachtet werden.

3. Religionsfreiheit

Die deutsche Bundesregierung führte in ihrem 14. Bericht über ihre Menschenrechtspolitik in 2020 an, dass sich in den letzten Jahren der Stand der Religionsfreiheit in der Türkei verschlechtert hat.

Allgemein sollten Unternehmen überprüfen, ob Anders-Gläubige während Einstellungsverfahren und auch danach unterschiedlich behandelt werden. Das Verhältnis zwischen Sekten, Staat und Gesellschaft (in den letzten Jahren insbesondere der Umgang mit Anhängern und vermeintlichen Anhängern der Gülen-Bewegung) ist sowohl rechtlich als auch sozial ein hochsensibles Thema. Der richtige Umgang mit diesen Themen benötigt Expertise und Zugang zu den richtigen Informationen.

4. Gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit & Versammlungsfreiheit

Laut dem ITUC Global Rights Index erhalten die MENA-Länder eine Wertung von 4.5 (Wertung 5 bedeutet, dass Arbeitnehmerrechte nicht garantiert sind). 94 Prozent der Länder verletzten das Streikrecht und das Recht auf Tarifverhandlungen. Alle 18 Länder schränken Beschäftigte in Ihrem Recht ein, eine Gewerkschaft zu gründen und ihr beizutreten.

Die Türkei erhält im ITUC Global Rights Index auf einer Skala von 1 bis 5 eine 5 bezüglich Vereinigungsfreiheit und Arbeitnehmerrechte. Zur Rechtslage geht aus dem Bericht folgendes hervor:

  • Das Gesetz untersagt gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung, enthält aber keinen angemessenen Schutz.
  • Das Tarifverhandlungsrecht wird gesetzlich anerkannt, jedoch nicht angemessen begünstigt und gefördert.Das Streikrecht wird gesetzlich anerkannt, unterliegt aber strengen Bestimmungen.

In der Praxis werden die Gewerkschaftsrechte der Arbeitnehmer stark beeinträchtigt. Unter anderem kommt es häufig vor, dass die Polizei bei Versammlungen gegenüber den Arbeitnehmern unverhältnismäßige Gewalt anwendet, die zu erheblichen Verletzungen bei den Versammelten führt. Auch beklagt die IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow, dass es unbegründete Anklagen und Urteile gegenüber Gewerkschaften bzw. den dahinterstehenden Personen gebe.

5. Zwangsarbeit & Menschenhandel

Mehr als eine Million syrische Flüchtlinge sind ohne Dokumente in der Türkei. Dies macht sie anfällig für Ausbeutung und Menschenhandel. Syrische Flüchtlinge (einschließlich Kinder) sind gezwungen, in der Türkei unter anderem in Textilfabriken, auf Märkten, in Geschäften, Schmiedegeschäften und in der Landwirtschaft zu arbeiten.

Dazu kommt, dass laut einem ILO-Bericht in beinahe jedem Land der Welt und auch über ethnische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg moderne Sklaverei stattfindet und somit das Risiko von Zwangsarbeit und Menschenhandel als ein globales Risiko angesehen werden kann. Erstaunlich ist, dass besonders in Ländern mit mittleren Einkommen im oberen Bereich sowie in Ländern mit hohem Einkommen mehr als die Hälfte von allen Fällen der Zwangsarbeit und ein Viertel aller Fälle von Zwangsehen stattfinden. Nach dem ILO-Bericht leiden weltweit 28 Millionen Menschen unter Zwangsarbeit und 22 Millionen Menschen sind in Zwangsehen gefangen. Besonders Frauen und Kinder sind von dieser Art der modernen Sklaverei betroffen, 80 Prozent aller von kommerzieller sexueller Zwangsausbeutung betroffenen Personen sind Frauen und Mädchen. Der private Sektor verzeichnet mit 86 Prozent den überwiegenden Anteil von Zwangsarbeit, während staatlich angeordnete Zwangsarbeit 14 Prozent ausmachen.

6. Lohn & Vergütung

Fast die Hälfte der Arbeitenden in der Türkei (42%) bekommen den Mindestlohn als Vergütung. Der Mindestlohn liegt jedoch unter dem Existenzminimum (bzw. „Hungerlimit“). Bei einer vierköpfigen Familie müssten mindestens zwei Personen Arbeiten, um die Familie ausreichend mit dem Lebensnotwendigen versorgen zu können. Zudem werden durch Arbeitgeber oft rechtswidrig Sozial- Rentenversicherungszahlungen nicht geleistet und es gibt weitere Unregelmäßigkeiten mit dem Lohn. Da die Arbeitslosenzahl in der Türkei momentan sehr hoch ist, lassen sich Arbeitnehmer auch häufig auf solche Rechtsverletzungen ein, ohne sich dagegen zu wehren. Schwarzarbeit, die meist zudem niedriger als der Mindestlohn vergütet wird, kommt vor allem und häufig bei der Beschäftigung von Flüchtlingen vor, die den Umständen geschuldet noch weniger Auswahl und Rechte haben.

7. Kinderarbeit

Laut einem Bericht der 2021 gemeinsam vom türkischen Bildungsministerium, dem Ausschuss für Kinderrechte des türkischen Parlaments und dem Gesundheitsministerium erstellt wurde, müssen in der Türkei mehr als 720.000 Minderjährige arbeiten, um zu ihrem Haushaltseinkommen beizutragen. Dabei haben 440.000 keinen Zugang zu Bildung. Mehr als 20 Prozent der minderjährigen Erwerbstätigen sind unter 15 Jahre alt. Dem Bericht zufolge arbeitet die Mehrheit der Minderjährigen im Industrie- und Dienstleistungssektor, gefolgt von landwirtschaftlichen Arbeitskräften. Laut UNICEF arbeiten tausende syrische Kinder, die wegen des Krieges in die Türkei geflohen sind. Sie arbeiten oft in der Landwirtschaft, im Baugewerbe oder in kleinen Läden.

Zudem arbeiten diese Kinder meist unter sehr schlechten Bedingungen und auf Kosten ihrer Gesundheit und Ausbildung. Die Arbeitsbedingungen von Minderjährigen wurden scharf als gefährlich und ausbeuterisch kritisiert. Einem ebenfalls in 2021 erschienenen Bericht des Türkischen Statistischen Instituts (TÜİK) zufolge arbeiteten viele Minderjährige in feuchten und schimmeligen Umgebungen. Es hieß, sie arbeiteten an Orten, an denen schädliche Gase und Chemikalien vorhanden seien, und 10 % der minderjährigen Erwerbstätigen hätten gesundheitliche Probleme aufgrund des schweren Hebens entwickelt. Im Jahr 2021 sind in der Türkei insgesamt 62 Kinderarbeiter (jünger als 18 Jahre) wegen unzureichender Arbeitssicherheitsvorkehrungen tödlich verunglückt. 21 Kinder davon waren jünger als das gesetzlich vorgeschriebene Mindestalter von 15 Jahren. Fast 60 Prozent der von Terre des Hommes befragten Kinder gaben an, mehr als 7 Stunden täglich zu arbeiten; ein Drittel der Kinder arbeitet 7 Tage pro Woche. Viele dieser Kinder sind zudem Pestiziden und giftigen Chemikalien ausgesetzt, müssen schwere Lasten transportieren und haben ermüdend lange Arbeitszeiten, wodurch das Risiko von Arbeitsunfällen zusätzlich gesteigert wird.

8. Arbeitsunfälle bzw. Arbeitssicherheit

Laut der Health and Safety Labour Watch in der Türkei sind im Jahr 2021 in der Türkei insgesamt 2170 Arbeiter wegen unzureichender Arbeitssicherheitsvorkehrungen gestorben. (Im Vergleich: Deutschland hatte – mit circa 14 Millionen mehr Erwerbstätigen Menschen als die Türkei – im Jahre 2021 nur 510 Arbeitsunfälle mit Todesfolgen).

Die Bergbau-Branche in der Türkei ist für schlechte Arbeitssicherheit besonders bekannt und trägt ein erheblich gesteigertes Menschenrechtsrisiko. Häufig wird von katastrophalen Unglücken berichtet, wie erneut im Oktober 2022, als 41 Menschen ihr Leben verloren haben. Im Jahre 2014 sind alleine in einer Mine insgesamt 301 Bergarbeiter an den Folgen unzureichender Arbeitsortsicherheitsvorkehrungen gestorben und weitere 88 wurden verletzt.

Außer in Branchen mit eindeutig geringen Risiken (wie z.B. Buchhaltungsdienstleistungen) empfiehlt es sich, in der Kategorie der Arbeitssicherheit Ihrer Lieferanten in der Türkei zumindest zu überprüfen, ob es in der Vergangenheit zu arbeitsbedingten Unfällen kam. Spätestens wenn Sie von Unfällen in der Vergangenheit erfahren, sollten weitere Überprüfungen durchgeführt werden.

V. Umwelt

Umweltverschmutzungen können zusätzlich auch Menschenrechtsverletzungen darstellen. Obwohl die Türkei in Relation zu größeren Industrieländern (wie z.B. China, aber auch Deutschland) nur einen Bruchteil an der globalen Umweltverschmutzung zu verantworten hat, sind trotzdem erhebliche, insbesondere solche Verschmutzungen, die die Umwelt und Menschen vor Ort am meisten beeinflussen, zu beachten. Die Türkei erreicht im Environmental Performance Index eine Punktzahl von 26,3 auf einer Skala von 0-100. Damit gehört das Land zu den Top 10 der Länder mit den schlechtesten Punktzahlen im Bereich der Nachhaltigkeit. Konkrete Risiken und Verletzungen in Ihren Lieferketten müssten spezifisch ermittelt werden, da diese mit der betroffenen Branche weit variieren können. Folgend haben wir für Sie einen nicht abschließenden Überblick vorbereitet:

1. Abfälle bzw. Abfallentsorgung

Aufgrund der unzureichenden Infrastruktur für die Entsorgung von Industrieabfällen (welche meist gefährliche Abfälle darstellen) entstehen starke Verschmutzungen (unter anderem durch giftige Stoffe oder Schwermetalle) von Mülldeponien und anderen Deponien. Darüber hinaus nahm nach Angaben des Guardian in 2018 der Import von Kunststoffabfällen aus Großbritannien zu. Die Türkei recycelt nur 1% ihrer Haushaltsabfälle und entsorgt den Rest auf Deponien.

2. Biodiversität & Entwaldung

Industrielle Verschmutzung, der Bau von Dämmen und Kraftwerken, der Einsatz von Pestiziden, Überweidung und Waldbrände haben sehr negative Auswirkungen auf die Flora und Fauna in der Türkei. In der Realität werden internationale Verträge zum Schutz der Natur und der Biodiversität nicht ordnungsgemäß eingehalten. Die Wälder in der Türkei sind durch illegale Abholzung, illegale Bebauung, Viehzucht und Waldbrände stark bedroht. Auch werden Waldbrände absichtlich gelegt, um das Land bebauen und für den Tourismus nutzen zu können. Von absichtlich gelegten Waldbränden ist vor allem die touristisch beliebte Mittelmeerküste betroffen.

3. Süßwasser

Im Frühling und Sommer herrscht in der Türkei mittlere bis schwere Süßwasserknappheit. Wasserquellen und Flüsse werden durch Urbanisierung, Industrialisierung und den Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft (die Produktion sowie der Einsatz von Düngemitteln) und Bergbau verschmutzt.

4. Meere

Mehr als 7200 Kilometer Küste umgeben die Türkei im Norden, Süden und Westen. Die touristisch beliebten Ägäis- und Mittelmeer-Küsten haben viele „Blaue“-Strände und diese Küsten sind allgemein für sehr sauberes und klares Wasser bekannt. Jedoch ist vor allem für Tourismus-Unternehmen zu beachten, dass aufgrund der Verschmutzung durch Yachttourismus, Hotels und Häfen die Küsten und das Meer immer mehr leiden.

Die Küste und das Meer um die Hafen- und Industrie-Region von Izmir wird durch kommerziellen Schiffsverkehr und Schiffsbau sowie als auch Schiffsabbau bzw. Recycling verschmutzt. Vor allem das letztere kann Mensch und Umwelt schwer schädigen. Häufig sind Schiffe, die auseinandergebaut werden, um Stahl wiederzuverwenden, mit giftigen Stoffen wie Asbest verseucht und gefährden Arbeitnehmer und auch Anwohner in der Umgebung.

Viel stärker von Verschmutzung ist jedoch das kleinere Marmarameer betroffen. Das Meer zwischen den Dardanellen und dem Bosporus leidet so stark unter den Folgenindustrieller, Agrar- und Schifffahrts- Verschmutzungen, dass sich ein dicker Schleim gebildet hat, der das ganze Eco-System im Marmarameer zu ersticken droht. Dieses Schleimproblem wurde sogar in Europäischen- (inklusive Deutschen-) Medien oft erwähnt. Viele der verursachenden Fabriken und Firmen sind bekannt, jedoch treffen diese immer noch nicht genügend Vorkehrungen, um das Problem effektiv zu lösen.

5. Luftverschmutzung

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leidet die Türkei unter übermäßiger Luftverschmutzung. Dies bedeutet, dass sowohl Beschäftigte, als auch Anwohner in Ihrer Lieferkette in der Türkei (abhängig vom genauen Ort) wahrscheinlich einer Luftverschmutzung ausgesetzt sind, die möglicherweise zu Erkrankungen und vorzeitigem Tod führen. Insbesondere Regionen mit Stahl- und Plastikrohstoffproduktion sind hiervon betroffen.

VI. Weiteres Vorgehen für Ihr Risiko-Management

Konkrete Vorgehensweisen für die Analyse und das Management der ESG & Menschenrechtsrisiken bzw. -Verletzungen in Ihren Lieferketten finden Sie in unserem ausführlichen LkSG Ratgeber für die Türkei. Teil unserer Dienstleistungen für Mandanten ist auch die Erstellung von Checklisten für die Risikoanalyse von Standorten sowie Lieferanten, die spezifisch für die Risikoanalysen in der Türkei erarbeitet wurden. Als lokale Experten unterstützen wir Sie mit unseren Dienstleistungen beim Risikomanagement Ihres Unternehmens für Produktionsstandorte bzw. Lieferanten in der Türkei. Wir bieten Ihnen innovative Softwarelösungen für Ihr globales ESG-Risikomanagement).

Sie wünschen Beratung zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in der Türkei? Sprechen Sie uns an!

Unsere Datenschutzexperten Frau Kübra Köksal Yılmaz, LL.M, yilmaz@cbbl-lawyers.de, sowie Herr Assoc. Prof. Dr. jur. Mehmet Köksal, koksal@cbbl-lawyers.de, Tel. +90 - 212 276 98 20, stehen Ihnen gerne zur Verfügung.


Stand der Bearbeitung: Dezember 2022