Aktuelles zum französischen Wirtschaftsrecht
Corona-Krise und Insolvenzen von Unternehmen in Frankreich
21.04.2020
Die COVID-19-Pandemie, mit der wir derzeit konfrontiert sind, hat starke Auswirkungen auf die französische Wirtschaft.
Von unserem deutschsprachigen CBBL-Anwalt in Strasbourg, Herrn Emil Epp, Rechtsanwalt, epp@cbbl-lawyers.de, Tel. +33 - 3 - 88 45 65 45, www.rechtsanwalt.fr
Daher wurde mit Artikel 4 des Notstandsgesetzes Nr. 2020-290 vom 23. März 2020 für einen Zeit-raum von zunächst zwei Monaten (ab dem 24. März 2020) in Frankreich der Gesundheitsnotstand ausgerufen.
Die französische Regierung hat drastische Eindämmungsmaßnahmen ergriffen und insbesondere den Zugang der Öffentlichkeit zu einem großen Teil der ERP (établissements recevant du public; Einrichtungen mit Publikumsverkehr) untersagt. Darunter fallen auch viele Unternehmen, die nun aus diesem Grund zur Schließung gezwungen sind. Von dem Verbot ausgenommen sind diejenigen Einrichtungen mit Publikumsverkehr, die für die Aufrechterhaltung der Aktivität des Landes unerlässlich sind (indispensables à la poursuite de l’activité de la nation) (z.B. Lebensmittelversorgung, öffentliche Verwaltung etc.).
Sonstige Unternehmen, also solche, die keinen Publikumsverkehr haben, sind ebenfalls gezwungen, ihre Tätigkeit erheblich einzuschränken oder gar ganz einzustellen, falls es vor Ort keine Möglichkeit gibt, die Abstandsvorschriften einzuhalten oder weil aufgrund der Krise die Kunden weggefallen sind oder weil die Fortführung der Tätigkeit aus anderen Gründen praktisch unmöglich geworden ist (z.B.: Ausfall von Zulieferern).
Damit die erheblichen Schwierigkeiten für die Unternehmen abgemildert werden können und zur Vermeidung von massenhaften Insolvenzen in Frankreich, hat die französische Regierung eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, darunter insbesondere steuerliche Maßnahmen (vgl. Newsletter Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen) und -arbeitsrechtliche Maßnahmen (vgl. Newsletter Französisches Arbeitsrecht: Urlaub, Ruhetage, Kurzarbeit).
Mit der Verordnung Nr. 2020-341 vom 27. März 2020 hat die Regierung darüber hinaus eine Reihe von Anpassungen des Gesetzes über Insolvenzverfahren in Frankreich durchgeführt, um die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Unternehmen so weit wie möglich zu minimieren. Diese Anpassungen sollen im nachfolgend näher dargestellt werden.
Anpassung der Bestimmungen zu Insolvenzverfahren in Frankreich
Welches sind die Maßnahmen in Frankreich?
Eine der wichtigsten Maßnahmen der Regierung besteht darin, das Datum für die Beurteilung des Eintritts der Insolvenz (cessation des paiements; Zahlungsunfähigkeit) auf den 12. März 2020 „einzufrieren“, und dies betrifft alle Insolvenzen, die bis zum Ablauf von drei Monaten nach der offiziellen Beendigung des Gesundheitsnotstands eintreten.
Die Zahlungsunfähigkeit (cessation des paiements) ist im französischen Recht bei Unternehmensinsolvenzen der einzige Insolvenzgrund. Er liegt nur dann vor, wenn mit den verfügbaren liquiden Aktiva die fälligen Passiva nicht mehr ausgeglichen werden können.
Aktuell ist der Gesundheitsnotstand in Frankreich für einen Zeitraum von zwei Monaten (ab dem 24. März 2020) ausgerufen, so dass diese Maßnahme Auswirkungen zunächst bis zum 24. August 2020 haben wird (Errechnung: voraussichtliche Beendigung des Gesundheitsnotstands am 24. Mai 2020 zuzüglich 3 Monate „Einfrierung“ des Insolvenzeintritts-Datums). Das heißt diese Maßnahmen gelten für alle Insolvenzen, die bis zum 24. August 2020 eintreten.
Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Gesundheitsnotstand in Frankreich über den 24. Mai 2020 hinaus verlängert wird, was dann zur Folge hätte, dass sich die Auswirkung dieser „Einfrierungsmaßnahme“ auch entsprechend verlängern würde.
Was sind die konkreten Konsequenzen für Unternehmen in Frankreich?
Während des genannten Zeitraums wird die Frage, ob ein Unternehmen insolvent ist (cessation des paiements; Zahlungsunfähigkeit), auf der Grundlage der Bilanz des Unternehmens mit Stand zum 12. März 2020 beurteilt, ohne dass spätere wirtschaftliche Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der Corona-Krise entstanden sind, einen Einfluss auf die Beurteilung der Frage haben, ob ein Insolvenzgrund vorliegt oder nicht.
Die Ermittlung des genauen Tages des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit ist wichtig, da ab diesem Zeitpunkt der sogenannte „Verdachtszeitraum“ (période suspecte) angenommen wird. Es handelt sich dabei um die Zeit zwischen dem Tag des tatsächlichen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (Insolvenzeintritt) und dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Bestimmte Handlungen (Verträge, Schenkungen etc.) eines Unternehmens, die es während des „Verdachtszeitraums“ durchgeführt hat, können nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens seitens des Insolvenzverwalters angefochten und rückabgewickelt werden.
Es besteht die grundsätzliche Pflicht des Unternehmensleiters (Geschäftsführer einer SARL, Präsident einer SAS etc.), die Insolvenz binnen einer Frist von 45 Tagen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vor dem zuständigen Gericht in Frankreich zu erklären. Geschieht dies nicht, kann er sich unter Umständen haftbar machen.
Nach der neuen Verordnung wird diese Verpflichtung dem Unternehmensleiter jedoch nur dann auferlegt, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit spätestens am 12. März 2020 erfolgte. Das heißt, dass die Haftungsfolgen wegen zu später Insolvenzerklärung dann nicht eintreten, wenn die Zahlungsunfähigkeit nach dem 12. März 2020 eingetreten ist und nach Ablauf einer Frist von drei Monaten nach der offiziellen Beendigung des Gesundheitsnotstands nicht mehr fortbesteht.
Schließlich ist das Kriterium der Zahlungsunfähigkeit auch das Beurteilungselement für die Frage, ob einem Unternehmen präventive Schutzmaßnahmen bzw. Schutzschirm-Verfahren zugutekommen können. Dabei handelt es sich um vorinsolvenzliche gerichtliche Schutzverfahren, durch die beispielsweise Zahlungsaufschübe gewährt werden.
In Frankreich existieren verschiedene solcher vorinsolvenzlicher Schutzverfahren, also Verfahren, die auch bereits vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz) beantragt werden können. Je nach der konkreten Situation, in der sich das Unternehmen aktuell befindet, und je nach konkreter Sanierungsstrategie sollte aus folgenden Verfahren sachgerecht gewählt werden:
- Mandat ad hoc (Ad-hoc-Mandat) (vor oder nach Eintritt der Insolvenz möglich),
- Conciliation (Güteverfahren) (vor oder nach Eintritt der Insolvenz möglich),
- Sauvegarde (Erhaltungsverfahren) (nur vor Eintritt der Insolvenz möglich).
In der Praxis hat also ein Unternehmen, das sich zwischen dem 12. März 2020 und dem Tag der Beendigung des Gesundheitsnotstands zuzüglich 3 Monaten in einer Situation der Zahlungsunfähigkeit befindet, die Möglichkeit, eines der drei oben genannten präventiven (vorinsolvenzlichen) Verfahren zu beantragen, um seine Existenz zu wahren.
Ist die Zahlungsunfähigkeit hingegen bereits eingetreten, hat ein Unternehmen die Möglichkeit, unmittelbar die Eröffnung eines ordentlichen Insolvenzverfahrens zu beantragen, nämlich in Form eines Sanierungsverfahrens („redressement judiciaire“) oder eines Liquidationsverfahrens („liquidation judiciaire“).
Die Gläubiger hingegen können sich nicht auf einen Zustand der Insolvenz ihres Schuldners berufen, wenn dieser Zustand zwischen dem 12. März 2020 und dem Ablauf einer Frist von 3 Monaten nach der offiziellen Beendigung des Gesundheitsnotstands eingetreten ist, um eigeninitiativ die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner zu beantragen.
In den meisten Fällen ist es aber wirtschaftlich sachgerecht, wenn das insolvente Unternehmen selbst das Insolvenzverfahren zeitnah beantragt, um so nicht nur durch die Unterbrechung individueller Gläubiger-Klagen geschützt zu werden, sondern um auch rasch weitgehend unbürokratisch Zahlungen von der französischen Insolvenzgeldkasse AGS (L'Association pour la Gestion du régime d'assurance des crégime d'assurance des créances des Salaires) für zu zahlende Löhne und Gehälter zu erhalten, um so die eigene Liquidität zu enlasten.
Werden die Fristen in bereits laufenden Verfahren in Frankreich verlängert?
In bereits laufenden Insolvenzverfahren werden, gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2020-341 vom 27. März 2020, bestimmte Fristen, die während der Zeit des Gesundheitsnotstandes oder bis zum Ablauf eines Monats nach Beendigung des Gesundheitsnotstandes abgelaufen wären, verlängert, und zwar um die Dau-er des Gesundheitsnotstands zuzüglich eines Monats. Es handelt sich dabei im einzelnen um folgende Fristen bzw. Zeiträume:
- Beobachtungszeitraum (z.B. im Sanierungsverfahren),
- Geltungsdauer von Erhaltungs- und Sanierungsplänen,
- Fristen, während deren (aufgrund gerichtlicher Entscheidung) die Aktivität des Schuldners weiter aufrecht-erhalten werden muss,
- Dauer des sogenannten vereinfachten gerichtlichen Liquidationsverfahrens (liquidation judiciaire simplifiée).
Fristverlängerungen und Anpassungen im Bereich der Schlichtung in Frankreich
Grundsätzlich wird das Schlichtungsverfahren (Conciliation) seitens des Gerichts für einen festen Zeitraum von bis zu 5 Monaten eröffnet.
Um dem Unternehmen aufgrund der aktuellen Lage mehr Zeit für die Verhandlungen (bezüglich Zahlungszielen, Nachlässen etc.) mit seinen Gläubigern einzuräumen, bestimmt die neue Verordnung, dass Schlichtungen, die vor Ablauf von drei Monaten nach dem Ende des Gesundheitsnotstands eröffnet werden (d.h. in der gegenwärtigen Lage: Schlichtungen, die vor dem 24. August 2020 eröffnet werden), automatisch um einen Zeitraum verlängert werden können, der der Dauer des Gesundheitsnotstands (in der gegenwärtigen Lage: zwei Monate) zuzüglich drei Monate, d.h. der insgesamt fünf Monaten entspricht.
Mit anderen Worten: Unternehmen, die ein Schlichtungsverfahren beantragen möchten, kommen in den Genuss einer verdoppelten Maximalfrist von 10 Monaten (bisher: maximal 5 Monate).
Für Schlichtungen, die zwischen dem 12. März 2020 und einem Zeitpunkt drei Monate nach Beendigung des Gesundheitsnotstands gescheitert sind, steht dem Unternehmen die Möglichkeit offen, eine erneute Schlichtung zu beantragen, ohne die hierfür (normalerweise bestehende) gesetzliche Wartefrist von drei Monaten Karenz abwarten zu müssen.
Lockerung der französischen Verfahrensfristen, der Anrufungsverfahren und der Verfahren betreffend die physische Präsenz der Beteiligten vor Gericht
Für die Dauer des Gesundheitsnotstands zuzüglich eines Monats (sog. "gesetzlich geschützte Frist") werden bei Insolvenzverfahren bestimmte Verfahrensregeln modifiziert.
Die neue Verordnung führt die Möglichkeit ein, eine mündliche Verhandlung über die Insolvenzeröffnung auch ohne die Anwesenheit des Schuldners durchzuführen. Der Schuldner wird dann aufgefordert, seinen Insolvenzantrag gemäß Artikel L. 446-1 der französischen Zivilprozessordnung schriftlich zu stellen.
Darüber hinaus wird der Informations- und Schriftsatzwechsel zwischen den am Verfahren Beteiligten erleichtert. Die neue Verordnung bestimmt hierzu, dass dieser Austausch fortan „mit allen Mitteln“ (par tous moyens) durchgeführt werden darf, wobei der Insolvenzrichter (juge commissaire) in diesem Zusammenhang sicherstellen muss, dass das Verfahren streitig geführt werden kann (Gegenseitigkeit des Verfahrens), d.h. dass alle am Verfahren Beteiligten stets alle für sie bestimmten Informationen und Unterlagen auch rechtzeitig erhalten und hierzu ausreichend Stellung nehmen können.
Schließlich werden durch die neue Verordnung die Zwischenverhandlungen (audiences intermédiaires) abgeschafft. Diese fanden bislang grundsätzlich alle zwei Monate nach der Insolvenzeröffnung statt (gem. Artikel L. 631-15 des französischen Handelsgesetzbuchs), um den reibungslosen Ablauf des Beobachtungszeitraums und die Fortführung des Betriebs gerichtlich zu überwachen.
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