Insolvenz: Entscheidungshilfe zu den alternativen Präventivverfahren in Frankreich
Von unseren deutschsprachigen CBBL-Anwältinnen in Straßburg, Frau Clémentine Paquet, Avocat, paquet@cbbl-lawyers.de, und Herrn Koray Kosal, Rechtsanwalt, kosal@cbbl-lawyers.de, Tel. +33 - 3 - 88 45 65 45, www.rechtsanwalt.fr
Wann sollte ein Geschäftsführer in Frankreich ein vorinsolvenzliches Insolvenzverfahren erwägen?
Insolvenzverwalter in Frankreich bemängeln regelmäßig, dass Unternehmen (insbesondere KMU) nicht ausreichend die ihnen zur Verfügung stehenden präventiven Verfahren (vorinsolvenzliche Verfahren) zur Vermeidung wirtschaftlicher Schwierigkeiten nutzen. Diese vorinsolvenzlichen Verfahren stehen bereits vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung und dienen dazu, das betroffene Unternehmen zu schützen und den tatsächlichen Eintritt der Zahlungsunfähigkeit noch möglichst abzuwenden.
Die vorinsolvenzlichen Verfahren in Frankreich sind folgende:
- die Ad-hoc-Verwaltung (mandat ad hoc),
- das Vergleichsverfahren (procédure de conciliation) und
- das Erhaltungsverfahren (procédure de sauvegarde).
Es wird allgemein angenommen, dass die Erfolgsquote dieser Präventivverfahren mit etwa 75 % (Quelle: Dominique-Paul Vallée, Generaldelegierter für die Vorbeugung von Unternehmensschwierigkeiten am Handelsgericht Paris) wesentlich höher liegt als jene der „normalen“ Insolvenzverfahren, da vorinsolvenzliche Verfahren in der Praxis viel häufiger zu einer gütlichen Lösung mit den Gläubigern führen, wodurch eine Zahlungsunfähigkeit meist abgewendet werden kann.
Oft wissen Unternehmensleiter jedoch nicht um die Existenz solcher Präventivverfahren und ihrer Vorteile, was dazu führt, dass diese Verfahren letztlich nicht erwogen werden und eher abgewartet wird, bis ein „normales“ Regelinsolvenzverfahren beantragt werden muss, d. h. bis endgültig Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist.
Ein weiteres Hemmnis für die Beantragung eines präventiven Verfahrens ist die Tatsache, dass in manchen Fällen objektiv erkennbare Warnsignale und Indikatoren für das Vorliegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten übersehen werden.
Das Erkennen dieser Signale ist jedoch unerlässlich für die frühzeitige Einleitung der notwendigen Präventivmaßnahmen, um so den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit möglichst zu vermeiden und die Fortführung der Unternehmenstätigkeit zu gewährleisten.
Ein bereits im Vorfeld einer Zahlungsunfähigkeit beantragtes Präventivverfahren, das stets einen geringeren Eingriff in das Unternehmen darstellt als ein „normales“ Regelinsolvenzverfahren, mindert auch das Risiko der Haftung des Geschäftsführers der französischen Gesellschaft bzw. ihrer Gesellschafter, wenn später, d. h. nach Abschluss des präventiven Verfahrens, in ein „normales“ Regelinsolvenzverfahren umgestellt wird:
Denn oft wird ein frühzeitiges und vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erfolgendes eigeninitiatives Anrufen des Gerichts als Anwendung größtmöglicher Transparenz honoriert und mindert in der Regel das Risiko einer insolvenzrechtlichen Haftung von Geschäftsführern und/oder Gesellschaftern.
Daher möchten wir im Folgenden eine Liste mit den wesentlichen Signalen zur Verfügung stellen, welche darauf hinweisen können, dass sich ein Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. Das Vorliegen solcher Schwierigkeiten kann darauf hindeuten, dass es für das Unternehmen vorteilhaft sein könnte, ein präventives Verfahren in Frankreich zu beantragen:
1. Betriebliche Indikatoren
Diese Signale haben nicht unmittelbare Cashflow- oder Liquiditätsauswirkungen, können aber, wenn sie nicht behandelt werden, mittelfristig zu finanziellen Schwierigkeiten für das Unternehmen führen:
- Rückgang der Aufträge
- Rückgang des Umsatzes (was auf eine ungünstigere Position des Unternehmens am Markt oder auf organisatorische Probleme hinweisen kann)
- Zunahme von Streitigkeiten mit Kunden oder sonstigen Vertragspartnern (insbesondere Streitigkeiten über den Inhalt von Eingangs-/Ausgangs-Rechnungen)
- Erweiterung der Zahlungsfristen
- Anstieg der Material- und Rohstoffpreise etc.
In diesen Fällen empfiehlt es sich, je nach Lage des Sachverhalts, Verhandlungen mit den Lieferanten, Kreditinstituten etc. aufzunehmen, eine einvernehmliche Lösung mit den Beteiligten zu finden (z. B. Verhandlung von Zahlungsaufschüben, Nachverhandlung der Rohstoffpreise etc.).
2. Finanzielle Indikatoren
- Anormaler Rückgang bzw. Anstieg des Liquiditätsbestands – ein anormaler Anstieg kann in der Tat zum Beispiel eine Unterbrechung der Auftragskette offenbaren: Zahlungseingang für ausgeführte Aufträge, aber kein neuer Auftragseingang mehr, wodurch wiederum beispielsweise die Stückkosten sinken können
- Erhöhung der Finanzaufwendungen (fehlendes Eigenkapital) (z. B. in Form von Zinsen für aufgenommene Dispokredite)
- Schwierigkeiten bei der Rückzahlung von Krediten
- Kündigung des Überziehungskredits oder der Kreditlinie durch die Bank
- Unmöglichkeit, einen weiteren Kredit von einem Kreditinstitut zu erhalten
In diesen Fällen kann zum Beispiel durch die Hinzuziehung eines „Kreditmediators“ versucht werden, Lösungen mit den Beteiligten zu finden, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden.
3. Investitionsbezogene Indikatoren
Das Ausbleiben von Investitionen des Unternehmens kann in bestimmten Branchen ein Vorbote für wirtschaftliche Schwierigkeiten sein. Dies ist insbesondere in solchen Branchen der Fall, die regelmäßig größere Investitionen tätigen und sich ständigem technologischen Wandel unterziehen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein Unternehmen, das in einer derartigen Branche tätig ist und nicht mehr oder nicht ausreichend investiert, wird zwangsläufig an Rentabilität verlieren.
4. Allgemeine wirtschaftliche Indikatoren
- Allgemeine Verschärfung der Kreditkonditionen
- Anstieg der Zinssätze für Darlehen
- Wechselkursschwankungen
Diese externen Indikatoren können ebenfalls einen großen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens haben. Daher sollten sie nicht vernachlässigt werden, insbesondere dann nicht, wenn sie zu anderen, unternehmensinternen Indikatoren hinzutreten.
5. Indikatoren im Zusammenhang mit der Verschlechterung des allgemeinen sozialen Klimas und mit den Beziehungen der Unternehmensführung zu anderen Beteiligten
- Zunahme von sozialen Spannungen im Unternehmen (z. B. Arbeitskämpfe, Streiks, Kündigungsschutzklagen)
- Verschlechterung der Beziehungen und des Vertrauens zwischen den Gesellschaftern
- Rücktritt und Neubesetzung der Unternehmensführung
- Zunahme der Spannungen im Verwaltungsrat, Aufsichtsrat oder in der Gesellschafterversammlung
- Merkliche Zunahme von Informationsanfragen der Gesellschafter an die Unternehmensleitung
Das Vorliegen einiger weniger dieser Indikatoren ist freilich nicht per se alarmierend. Falls jedoch im Unternehmen mehrere dieser Indikatoren aus verschiedenen sachlichen Indikatorenbereichen wahrgenommen werden, sollten sie nicht ignoriert werden, da sie eine wirtschaftliche Krise ankündigen können.
Im Zweifelsfall steht Ihnen unsere Kanzlei selbstverständlich gerne zur Verfügung, um die Situation in Ihrem Unternehmen in Frankreich zu analysieren und Ihnen eine konkrete Handlungsempfehlung zur Verfügung zu stellen. Wie begleiten Sie auch gerne bei der Beantragung und der Durchführung eines Präventivverfahrens. In geeigneten Konstellationen ist es manchmal im Vorfeld sinnvoll, mit einem erfahrenen Insolvenzverwalter unseres Vertrauens, zum Zwecke der Vorbesprechung der verschiedenen Handlungsoptionen, eine unverbindliche Besprechung durchzuführen. Gerne stellen wir in diesen Fällen einen geeigneten Kontakt für Sie her und begleiten Sie.
Sie wünschen Beratung zu alternativen Präventivverfahren in Frankreich? Sprechen Sie uns an!
Unser deutschsprachiger CBBL-Anwalt Herr Rechtsanwalt Emil Epp und sein Team in Strasbourg, Paris, Baden-Baden, Zürich, Bordeaux und Sarreguemines stehen Ihnen gerne zur Verfügung: epp@cbbl-lawyers.de, Tel. +33 - 3 - 88 45 65 45
Stand der Bearbeitung: März 2023